29 Mai 2009

 

Eifelachterbahn

„Schaut mal raus, es regnet. So eine Scheiße.“, ungefähr so ist die Stimmung am Frühstückstisch, nachdem der Tag noch trocken mit teilweise sogar blauem Himmel angefangen hat. Als ob es nicht ausreichen würde, daß unsere Wirtin verschlafen hat, und wir unser Frühstück in geringfügiger Eile herunter schlingen müssen. Mehr als drei Scheiben Brot mit ein bißchen Wurst sind bei mir nicht drin, mein geliebtes Müsli muß leider ausfallen. Immerhin würden Jans Eltern uns ein paar Klamotten am Start abnehmen, so daß wir dick eingepackt von Duppach die acht Kilometer zum Start nach Gerolstein rollen. Es hat zwar aufgehört zu regnen, aber noch steht das Wasser auf den Straßen, und dann ist es auch egal, ob das Wasser von oben oder von unten kommt. Da hatte ich fünf Frühjahrsrennen trocken und sturzfrei überstanden, und dann muß es ausgerechnet bei meinem diesjährigen Marathondebüt regnen. Eifel eben. Trotzdem steigt meine Vorfreude mit jedem Meter, den wir dem Start näher kommen. Keine Spur von der Nervosität, die mich immer vor den Lizenzrennen befallen hatte. Vielleicht liegt es daran, daß Radmarathon fahren doch eher mein Element ist?! Daß meine Form gut ist, weiß ich auch, einzig der Zweifel, ob sie auch schon für 209 km reichen würde, bleibt – seit dem Trainingslager im März war ich nicht mehr länger als 4 Stunden am Stück im Sattel gesessen.
Punkt 8 Uhr fällt der Startschuß, noch ein kurzes „Viel Glück!“ an Steffi, Sebastian und Jan, die sich auf die 140 km- bzw. die 117 km-Runde wagen wollen, und dann geht es begleitet vom hundertfachen Einklickgeräusch der Pedale auch schon los. 209 km durch die Eifel, immer bergauf und bergab, keine längeren Anstiege, keine langen Abfahrten, wenige Flachstücke zum Erholen, und das ganze bei grau verhangenem Himmel und immer wiederkehrendem leichten Regen.
Abgesehen von viel Dreck, sich langsam in Grau verwandelndes Weiß meiner Armlinge und meiner Weste, einem für meinen Geschmack ziemlich hohen Tempo und einem erfolglosen Ausschauhalten nach Stefan Mistler passiert auf den ersten rund 80 Kilometern ziemlich wenig. Ich versuche mich immer an der Spitze des Feldes aufzuhalten, ohne zuviel im Wind zu fahren, versuche herauszufinden, wer nun welche Strecke fährt, um zu wissen, wem ich eventuell nachfahren muß. Auch Jan und Sebastian halten sich immer in den vorderen Positionen auf. Kurz nach Kilometer 80 greift Jan an. Mit ihm geht ein weiterer Fahrer mit. Es ist eine dieser Attacken, bei denen man froh ist, wenn man nicht hinterherstiefeln muß, weil es a) ein Teamkollege ist, der angegriffen hat und b) die angreifenden Fahrer eine andere Strecke fahren und daher keine unmittelbare Gefahr darstellen. Im Feld versuchen Sebastian und ich die anderen Fahrer zunächst mal davon zu überzeugen, daß es nicht notwendig ist hinterherzufahren, weil die beiden vorne „nur“ die 117 km-Runde fahren wollen. Entsprechend halbherzig fällt die Verfolgung zunächst noch aus. Doch das ändert sich bereits wenige Kilometer später: Nino Ackermann greift gemeinsam mit dem diesjährigen Sieger des „Eschborn Frankfurt City Loop“, einem ziemlich kräftigen Luxemburger (insgeheim hab ich ihn „den Kasachen“ getauft, da er mit Astana-Hose fährt, auf der hinten groß „Kazachstan Railway“ prangt) an. Jetzt muß ich mich entscheiden: mitfahren, ja oder nein. Die Entscheidung wird nur wenige Sekunden später auch schon abgenommen. Mit einem kurzen „Fahren. Die holen wir uns!“ kommt Günter Höllige an uns vorbeigefahren. Sofort schließe ich mich gemeinsam mit drei weiteren Fahrern an. Ob Zufall oder nicht, die Stelle für die Attacke war gut gewählt: nach wenigen Metern geht es in den wohl schwersten Anstieg der Runde hinein. Ackermann und den luxemburgischen Kasachen haben wir schnell gestellt, dann geht es weiter. Jetzt wird richtig Gas gegeben, dabei haben wir gerade mal ungefähr Kilometer 95 erreicht. Als es in die Abfahrt geht haben wir auch die anderen beiden Fahrer, bei denen auch Jan dabei ist, gestellt und sind nun zu Zehnt unterwegs. Kurzer Blick auf die Startnummern: ok, zwei Mal 117 km, zwei Mal 140 km, der Rest fährt 209 km. Der Blick nach hinten verheißt allerdings nichts gutes. Sollte der Aufwand umsonst gewesen sein, und wir wieder gestellt werden? Doch der Abstand bleibt konstant und wird nicht kleiner. Bei der ersten Streckenteilung biegt dann Jan Richtung Ziel ab und fährt einem sicheren Gesamtplatz 2 und einem souveränen Altersklassensieg über 117 km entgegen. Wir sind noch zu siebt; zwei davon auf der 140 km-Distanz unterwegs. Kurze Zeit später teilen sich auch unsere Wege. Zu fünft biegen wir auf die 209 km-Schleife ab. Ich denke zum ersten Mal über das Podium nach: ok, der Kasache ist definitiv älter als ich, der eine könnte auch eine höhere Altersklasse sein, die anderen beiden sind garantiert in meiner Altersklasse unterwegs. Schlechtestensfalls also Platz 4 in der Altersklassenwertung. Aber noch sind fast 100 km zu fahren. Trotz weiterhin schlechten Wetters habe ich meine Windweste ausgezogen. Für mich das Zeichen: Jetzt wird Radrennen gefahren. Jetzt gilt's. Als wir das zweite Mal auf der großen Schleife von der großen Straße auf einen Feldweg abbiegen, sagt mir der Blick nach hinten, daß die nächste Gruppe schon einen relativ großen Rückstand auf uns hat. Umso verwunderter bin ich, als plötzlich zwei Fahrer von hinten kommend zu uns aufschließen; fast im gleichen Moment läßt allerdings der Kasache abreißen, was mich sehr wundert, da er bisher einen extrem starken Eindruck gemacht hatte. Plus zwei, minus eins macht dann eine Gruppe von sechs Fahrer. Allerdings sind die beiden Fahrer, die gerade aufgeschlossen haben, definitiv in meiner Altersklasse unterwegs. Irgendwie bin ich dann der Meinung, daß mir die Gruppe ein bißchen zu groß ist, und fahre die nächste kurze Steigung mit etwas mehr Druck hoch – doch meine Hoffnung, daß vielleicht zwei oder drei andere mitgehen, und die Gruppe auf diesem Weg kleiner wird, erfüllt sich nicht. Keiner folgt mir und ich habe schnell ein paar Sekunden Vorsprung. Noch sind jedoch 90 km zu fahren; ein Himmelfahrtskommando diese Kilometer alleine zurücklegen zu wollen. Mir geht auch wieder meine 70 km-Alleinfahrt von Trois Ballons vor zwei Jahren durch den Kopf, für die ich damals am Ende bitter bezahlt hatte. Dieser Fehler würde mir kein zweites Mal passieren, daher nehme ich die Beine hoch und lasse mich wieder einholen. Doch in der Gruppe ist auch kein richtiger Zug drin; von den sechs Fahrer beteiligen sich im Wesentlichen zwei an der Führungsarbeit: ein kleiner Typ, der mir vor allem dadurch auffällt, daß er jeden, aber wirklich jeden Anstieg auf dem großen Batt hochdrückt und ich selbst. Die anderen lassen sich nur noch sehr sporadisch in der Führung blicken. Zwischendurch bekommen wir mal den Abstand nach hinten durchgesagt: vier Minuten. Obwohl bei uns kein richtiger Zug drin ist, scheint uns von hinten keine große Gefahr mehr zu drohen. So geht es bis Kilometer 150 mehr oder weniger ereignislos über die Hügel der Eifel dahin. Dann folgt wieder ein etwas längerer Anstieg, und ich versuche durch eine Tempoverschärfung, die auch von dem kleinen Fahrer, der alles auf dem großen Blatt tritt, aufgenommen wird, die Gruppe zu sprengen, da mir langsam doch ein paar zu viele Leute nur noch hinten draufliegen. In der folgenden Abfahrt teilt sich die Gruppe dann auch in zwei Dreiergruppen, aber die hintere Gruppe schafft es mit vereinten Kräften wieder zu uns aufzuschließen. Dann folgt der längste Anstieg der Runde, an dem schon in der ersten Runde jene Attacke ging, die zur Bildung dieser Gruppe geführt hatte. Hier versuche ich wieder durch eine Tempoverschärfung die Gruppe zu verkleinern. Wieder hilft mir jener Fahrer, dem der Umwerfer zu fehlen scheint, in dem er meine Attacke weiterführt – und dieses Mal sind wir erfolgreicher: ein Fahrer vom Corratec-Team läßt abreißen; wir sind nur noch zu fünft. Und in dieser Fünfergruppe geht es auch in die letzte Schleife: die kleine Schleife, die am Anfang zuallererst zu befahren war, muß noch ein weiteres Mal bewältigt werden. Mittlerweile ist es von oben trocken und so langsam läßt sich sogar die Sonne ein bißchen blicken. Hier folgt noch mal ein längerer, wenn auch nicht besonders steiler Anstieg. Jetzt wird noch mal Vollgas gefahren und dieses Mal bin ich es, der zu kämpfen hat, um dranzubleiben. Der Typ mit dem großen Blatt und einer der beiden Fahrer, die von hinten zu uns aufgeschlossen hatten, sind jetzt die stärksten in unserer Gruppe. Ein Belgier, der ebenfalls aus der zweiten Gruppe nach vorne gefahren war, fällt hier an diesem Berg dem Tempo zum Opfer, und mir kommen in diesem Moment die Rennkilometer der absolvierten Lizenzrennen zugute, die mir doch eine gewisse Rennhärte gegeben haben. Mit meinen (fast) letzten Körnern rette ich mich über den Hügel. Wir sind inzwischen bei Kilometer 180 angelangt und so langsam macht sich bei mir bemerkbar, daß ich seit dem Trainingslager im März nicht mehr länger als vier Stunden am Stück im Sattel gesessen hatte – ich bin ziemlich alle. In der irrigen Hoffnung, es könnte die letzten zwölf Kilometer nur noch bergab gehen, biegen wir zu viert auf den Weg zurück nach Gerolstein ein. Jetzt quälen mich in erster Linie zwei Sorgen, zum einen, daß ich doch noch irgendwo abreißen lassen muß und mich so um den Lohn meiner Arbeit bringen würde, und zum anderen, daß der vierte im Bunde sich doch in den Zielspurt einmischen würde, obwohl er seit 90 Kilometern nur noch hinten draufgelegen hatte. Die letzten Hügel auf dem Weg zurück nach Gerolstein werden erwartungsgemäß zur Qual, aber irgendwie schaffe ich es dranzubleiben. Auf der breiten Hauptstraße Richtung Gerolstein wird dann noch mal richtig am Horn gezogen: der Fahrer, der von hinten zu uns gekommen war, hat tatsächlich noch die Kraft auf der leicht abfallenden Straße 50 km/h zu treten. Ich denke mir, daß ein dritter Platz wohl das höchste der Gefühle wäre, nachdem ich auch seit rund 30 Kilometern nur noch alibiartig durch den Wind gefahren bin. Als Gerolstein erreicht ist, türmt sich vor uns noch mal ein kurzer Stich auf, vor dem uns Sebastian gestern schon gewarnt hatte. Hier attackiert jener, der zuletzt das Gros der Führungsarbeit gemacht hatte; ich steige hinterher und kann kurzzeitig sogar ein kleines Loch zwischen mich und die beiden Verfolger bringen, aber dann merke ich ziemlich schnell, daß in meinen Beinen einfach nichts mehr drin ist. Noch vor der Kuppe werde ich von dem Mann mit dem großen Blatt ein- und überholt. In der folgenden Abfahrt versuche ich dranzubleiben, und dann ist auch schon das Ziel erreicht. Mit lautem Jubel werde ich von Steffi, Jan und Sebastian in Empfang genommen und rolle als Dritter ins Ziel. Vor mir Sebastian Küfner auf Platz eins, der aus der zweiten Gruppe zu uns aufgeschlossen hatte, und Kai-Uwe Gerstenberger, der wohl seinen Umwerfer auf 209 Kilometern nicht ein einziges Mal betätigt hat. Ein fairer Zieleinlauf, der die Kräfteverhältnisse auf dem letzten Drittel der Distanz korrekt widerspiegelt. Im Ziel heißt es dann erstmal ein bißchen für die Kameras posieren, und dann kommt auch schon Steffi angerollt, die ich zunächst ein wenig trösten muß, da bei ihr nach 20 Kilometern bereits die vermaledeite Defekthexe in Form eines Reifenschadens zugeschlagen hatte und ihr ihr Rennen komplett versaut hat.
Für mich selbst ist ein Traum in Erfüllung gegangen – seit 10 Jahren hatte ich davon geträumt mal bei einer Siegerehrung auf so einem verfluchten Podest zu stehen; heute hatte ich es endlich geschafft.
Insgesamt war es ein äußerst erfolgreiches Wochenende für das ganze Team: Jan belegte Gesamtplatz 2 und Platz 1 in seiner Altersklasse auf der 117 km-Distanz, für Sebastian sprang ein sechster Gesamtplatz und ein dritter Altersklassenrang heraus, und auch Steffi konnte nach Reifenschaden, fast 100 km-Alleinfahrt und einer falschen Streckenleitung durch die Streckenposten an einer der Streckenteilungen auf der 117 km-Distanz noch Platz 9 in der Frauenkategorie belegen. Vier Starter und dreimal bei der Siegerehrung vertreten – wenn das mal kein großer Erfolg ist.
Die detaillierten Ergebnisse sind unter http://www.gerolsteiner-radsport-festival.de/ zu finden, ebenso eine Bildergalerie, in der alle von uns mehr als einmal vertreten sind.

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KRASS EY!
 
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