05 Juni 2006

 

Auf der Jagd nach Nummer 19

Nach den ganzen Trainigskilometern und kürzeren Jedermannrennen war es gestern dann soweit, mit dem GP Schwarzwald stand ein echter Härtetest auf dem Weg zum großen Saisonhöhepunkt "Ötztaler Radmarathon" auf dem Programm: 180km durch den Schwarzwald mit knapp 3600 Höhenmetern inklusive dem vermeintlich schwersten Anstieg im Schwarzwald, dem Kandel. Die Strecke ist quasi zweigeteilt: während in der ersten Hälfte mit Kandel und Thurner die längeren Anstiege auf dem Programm stehen, zeichnet sich die zweite Hälfte durch ein "Sägezahnprofil" aus, die Strecke pendelt die ganze Zeit zwischen 800m und 1000m ü.N.N., die Anstiege sind nicht länger als 2-3km, aber gemein genug, um einem angeknockten Fahrer den Rest zu geben. Vor allem vor diesem zweiten Teil hatte ich Vorfeld großen Respekt, zumal ich ihn nur teilweise kannte (der erste Teil war mir von meinen Trainingsfahrten gut bekannt). Die Siegerzeit von letzem Jahr lag bei 6h 14min, so daß wir (mein Vereinskollege Matthias und ich) uns eine Zeit unter 6h 30min und eine Plazierung unter den ersten 5 bis 10 als Ziel gesetzt hatten.
Aber nun hinein in die Live-Reportage vom GP Schwarzwald:
Bei der Abfahrt aus Freiburg Richtung Triberg ist das Wetter zwar trüb, aber trocken. Wir (Udo, Matthias und ich) machen uns auf den Weg. Kurz hinter Waldkirch beginnt es zu regnen und die ersten Teilnehmer der ganz großen Feldbergrunde (260km mit 5300Hm) kommen uns dick verpackt in Regenjacken entgegen. In ca. 2 Stunden würden wir uns auch durch den Regen kämpfen müssen, sofern keine Wetterbesserung eintreten würde. In Triberg angekommen heißt es erst einmal Fahrer und Sportgerät klar machen, sprich umziehen und Vorderrad einbauen. Die Frage "Windjacke oder Windweste?" ist angesichts des leichten Regens und komplett nasser Straßen auch schnell geklärt: beides. Kurz vor 9 Uhr rollen wir (natürlich von vorne ;-)) in die Startaufstellung und versuchen so schnell wie möglich unsere Transponder registrieren zu lassen, und dann geht's auch schon los. Udo entscheidet sich kurzfristig wegen des eher widrigen Wetters doch auf der kurzen "Hexenlochrunde" zu starten und biegt 50m nach dem Start erst einmal links ab, um erst 2h später die kürzere Runde in Angriff zu nehmen. Für Matthias und mich geht es gleich Vollgas los, Puls gleich mal bei 180, schließlich wollen wir nach vorne. Nach ca. 1km sehen wir eine Gruppe von ungefähr 20 Fahrern in Begleitung von drei offiziellen Motorrädern vor uns. Hier sind wir richtig: kop van de wedstrijd! Die Windjacke wird erst mal aufgemacht, irgendwie ist es dann doch schon recht warm mit der Jacke. So geht es in einem zügigen Tempo zum ersten Anstieg des Tages, der Wilhelmshöhe. Danach folgt eine langezogene Abfahrt, in der ich dann doch froh bin mich für die Jacke entschieden zu haben: der Regen nimmt zu, und es wird doch empfindlich kühl. Im Elztal angekommen beginne ich gleich mit dem zweiten Frühstück, nach der Erfahrung vom letztjährigen Ötzi wollte ich lieber zuviel als zu wenig essen. Das Tempo ist alles andere als RTF-mäßig, hier wird Radrennen gefahren. Als Matthias und ich das Tempo an der Spitze mal so auf 35km/h einregulieren, beginnen gleich die Attacken: 4 oder 5 Mann fahren vorne weg, darunter ein Fahrer mit Waden, die dicker sind als meine Oberschenkel. Matthias macht mich auf die Nummer 19 aufmerksam, ich sage noch, laß den doch fahren. Kaum sind die 4 oder 5 Mann weg, wird hinten in die Verfolgung eingestiegen: Einerreihe und Tempo 45-50!!! Leute, Leute, wir haben erst 40 von 180km und der Kandel und alle anderen Gemeinheiten kommen doch erst noch. Kurz vor Waldkirch sind zumindest 3 der 5 Ausreißer wieder gestellt, dahinter reißt das Feld gleich zu Beginn des Anstiegs zum Kandel auseinander: ganz vorne fahren 3 oder 4 Fahrer in vorderster Position in den Kandel hinein, dahinter Nummer 19 und ein Fahrer aus Hamburg. Ich lasse diese beiden ziehen, halte aber zumindest zu dem Hamburger Blickkontakt. Bl0ß nicht am Kandel schon überziehen hatte ich mir im Vorfeld immer wieder eingeschärft, unten fahre ich auch einigermaßen gezügelt rein, aber so nach 3km lasse ich meiner Lust am Radfahren vollen Lauf. Es läuft einfach phantastisch. Trotz der Kälte (der Regen hatte mittlerweile aufgehört) habe ich die Jacke im Trikot verstaut, Windweste und Trikot geöffnet, die Armlinge nach unten geschoben. Matthias sehe ich in einer der Kehren ca. 45s hinter mir und überlege kurz zu warten, fahre dann aber doch meinen Rhythmus weiter. Und dieser Rhythmus ist ziemlich schnell: Puls bei 175-180, wenn das mal gut geht. Nach ca. 7km hab ich auch meinen letzten Begleiter abgeschüttelt, vor mir nach meiner Rechnung 4 oder 5 Fahrer ganz vorne, dann Nummer 19 und dann der Hamburger, immer noch in Sichtweite. Und der Hamburger kommt langsam wieder näher. Oben am Kandel dann Nebel, Sichtweite ca. 40-50m, zum Glück kenne ich die Abfahrt. Wie geplant lasse ich die Verpflegung aus, und lasse nur meine Transponder registrieren. Für die Abfahrt entscheide ich mich gegen die Jacke, die Weste muß reichen. Leider steigt der Hamburger an der Verpflegung vom Rad, um eine Pause zu machen, so daß ich nun ganz allein unterwegs bin. Sollte ich auf Matthias warten? Ich fahre erst einmal weiter, zwar zügig aber nicht so schnell, daß ich nicht mehr eingeholt werden könnte. Matthias sollte nach meiner Überlegung ca. 2min hinter mir liegen, leider kann ich weder beim Blick nach vorne noch beim Blick nach hinten irgendwelche Fahrer erspähen, nicht Nummer 19 und auch nicht Matthias. Mist. In der Abfahrt von St. Märgen nehme ich raus, lasse fast nur rollen, und endlich beim Blick nach hinten entdecke ich drei Fahrer: ist da Matthias dabei? Ja, er ist es. Sehr gut. Zu viert geht es dann in den Thurner: ein unangenehmer Anstieg, unrhythmisch zu fahren und einige richtig knackige Rampen. Mir kommt zum ersten Mal der Gedanke, am Kandel vielleicht doch etwas zu sehr überzogen zu haben. Nach rund einer halben Stunde ist jedoch auch dieser Anstieg erklommen und oben wartet die zweite Verpflegung. Kurz einen Blick auf Nummer 19 erhascht, der kurz vor uns die Verpflegung wieder verläßt, dann schnell die Flaschen aufgefüllt, einen Riegel verdrückt und die Trikottaschen mit den bereitliegenden Gels gefüllt. Jetzt steht das gefürchtet Sägezahnprofil an. Aus unserer Vierergruppe verabschiedet sich ein weiterer Fahrer, so daß wir von nun an nur noch zu dritt sind. Die folgende Abfahrt ist eklig: nicht besonders steil, breite Straße, eine Abfahrt, in der man richtig arbeiten muß, um schnell zu sein. Dann der nächste Anstieg: ein ganz ekelhaftes Ding, kurze giftige Rampen (sicherlich bis 16%), zum ersten Mal habe ich echte Bedenken, das sich hohe Tempo rächen würde und das gesteckte Ziel von sechseinhalb Stunden verfehlt würde. Irgendwann ist jedoch auch dieser Anstieg zu Ende, und es geht wieder bergab. Der nächste Anstieg ist ein richtiger Roller-Berg: nur 3-4% Steigung, dafür Gegenwind. In schönen Ablösungen ziehen wir zu dritt den Berg hinauf, das Tempo pendelt so bei 26-29km/h. Mittlerweile fühle ich mich wieder etwas besser, auch wenn der Anstieg trotzdem weh tut. Kurz vor Erreichen des "Gipfels" sehe ich ein rotes Trikot vor uns: war das Nummer 19? Leider finde ich es nicht heraus: in der folgende Abfahrt muß ich kurz auf meine Mitstreiter warten, das rote Trikot entschwindet wieder aus meinem Blickfeld. Direkt aus der Abfahrt geht es in den nächsten Anstieg, wir überholen Kurt, einen weiteren Vereinskollegen, der die "Hexenlochrunde" in Angriff genommen hatte (Wette gewonnen, Kurt! ;-)). Auf einer unangenehm engen und schlechten Straße geht es hinunter nach Furtwangen. Endlich sind auch wieder ein paar Fahrer auf der Strecke: die Fahrerinnen und Fahrer der "Hexenlochrunde" sind ab jetzt auf derselben Strecke unterwegs. In Furtwangen gibt es dann die erste Cola, noch ein Stück Hefezopf und weiter geht's. Noch stehen uns 3 längere Anstiege bevor. Unser Begleiter entscheidet sich, seiner Freundin, die auf der "Hexenlochrunde" unterwegs ist, entgegen zu fahren. Damit sind Matthias und ich nun allein, allein auf der Jagd nach Nummer 19. Es geht durch das schöne Linachtal, ich mache Matthias auf die Linachtalsperre aufmerksam, soviel Zeit muß sein! Im nun folgenden Anstieg muß ich meine ganzen Fähigkeiten als Edeldomestike aufbieten und nehme Matthias an mein Hinterrad, um ihn über diesen Anstieg zu pilotieren. Trotzdem haben wir das Gefühl an den Fahren der "Hexenlochrunde" förmlich vorbeizufliegen. Auch ein Fahrer der "Kandelrunde" ist dabei, wird überholt und kann uns nicht folgen. An der letzten Verpflegung teilt man uns mit, daß wir so an fünfter, sechster Postion liegen. Also nur schnell eine Cola kippen und weiter. Nach der Abfahrt kommt ein Flachstück, auf dem ich wieder die Führungsarbeit übernehme, im Stile eines Paarzeitfahrens überholen wir einen nach dem anderen. Am letzten Anstieg übernimmt Matthias wieder den Löwenanteil der Führungsarbeit, ich selbst bin schwer am kämpfen, leide unter Ansätzen von Wadenkrämpfen, mittlerweile bin ich aber wieder relativ sicher, daß wir die 6,5h knacken würden. Der letzte Anstieg ist ein richtiger Fiesling: jedesmal, wenn man denk man sei oben, kommt eine kurze Abfahrt und noch eine Welle. Hier hilft mir Matthias ein ums andere Mal. Auf einer dieser Wellen plötzlich ein rotes Trikot vor uns: war das Nummer 19? Ja, es war Nummer 19. Er kann uns nicht folgen, nach meiner Rechnung, sollten wir nun an vierter und fünfter Position liegen. Nach Schönwald hinein ist noch einmal ein letzter fieser Stich zu bewältigen, dann folgt die Abfahrt nach Triberg. Ich nehme auf der Abfahrt ein etwas höheres Risiko und bin etwas schneller als Matthias, noch eine Runde in Triberg, dann wird die ansteigende Zielgerade auf dem großen Blatt im Unterlenker hinaufgesprintet. Kurz nach mir kommt Matthias ins Ziel. Ein Blick auf die Uhr verrät: 6h 22min Bruttozeit. Laut Udo, der den Zieleinlauf beobachtet hat, Platz 4 und 5. Auf diese Leistung stoßen Matthias und ich standesgemäß mit einem Radler an. Kurt wird auch noch empfangen und mit einem Radler versorgt, dann geht es unter die Dusche und zurück nach Freiburg.

Nachbemerkungen:
1. Wen's interessiert: die Nettofahrzeit lag bei 6h 15min, das entspricht bei einer Strecke von 183km einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 29,3km/h.
2. Die genauen Plazierungen lassen sich leider nicht ermitteln, da dieses Jahr keine Einlauflisten mit Plazierung mehr erstellt werden durften. In Deutschland ist es nicht erlaubt eine Zeitnahme durchzuführen, wenn auf öffentlichen, nicht abgesperrten Straßen gefahren wird. Daher wurde dem Veranstalter für dieses Jahr auch untersagt eine Einlaufliste mit Plazierungen zu erstellen. In meinen Augen eine super-alberne Regelung. In jedem anderen europäischen Land ist es selbstverständlich, daß bei solchen Radmarathons eine Zeitnahme existiert und zumindest vorne ein richtiges Radrennen gefahren wird (siehe auch hier). Jeden weiteren Kommentar spare ich mir an dieser Stelle.
3. Der GP Schwarzwald ist eine schöne, gut organisierte Veranstaltung, die leider unter der geringen Teilnehmerzahl leidet. Zum einen sind nur 750 Teilnehmer insgesamt (alle drei Strecken) zugelassen, zum anderen ist der Termin vielleicht etwas ungünstig, da (zumindest dieses Jahr) parallel der Supercup in Bimbach stattfand, der einen Großteil der potentiellen Teilnehmer möglicherweise "abzieht". Daß sich die beiden schwersten Anstiege (Kandel und Thurner) sehr früh im Profil befinden, trägt auch nicht unbedingt dazu bei, daß ein größeres Feld längere Zeit zusammen bleibt. Das ganze führt dazu, daß man über weite Teile der Strecke alleine oder in Kleinstgruppen unterwegs ist. Schade eigentlich.

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