26 Juni 2007

 

Kraftprobe.

Trondheim. Oslo. 540km. 1001min. Regen. Gegenwind. Sturz in der Gruppe. Weiterfahren. Essen. Trinken. Wichtig. 15 min auf Platz 4. Und wieder Regen. Eingeschlafenen Finger. Kälte. Alles egal. Überleben. Wasser von oben. Wasser von unten. Wasser von vorne. Wasser von hinten. Zweifel. Aufgeben wollen. Nicht mehr reden wollen. Müdigkeit. Nichts mehr essen können. Männerhintern in Assoshosen. Leere Blicke. Eye of the Tiger. Wieder scherzen können. Überholt werden. Mitfahren. Frieren. Nur noch 200km. Rechnen. Kopf irgendwie beschäftigen. Nicht mehr führen können. Schlechtes Gewissen haben. Aufgemuntert werden. Und Regen. Dauerregen. Nichts trinken können. Magen rebellisch. Unmenschlich. Infernalisch. Pinkeln müssen. Laufen lassen wollen. Geht nicht. Weitertreten. Endorphine. Surreal. Norwegische Nacht. Kaum dunkel. Zeitgefühl verloren. Schmerzende Knie. Erfrorene Füsse. Rutschende Armlinge. Durchweichte Regenjacke. Sich selbst belügen. Ziele aufgeben. Ziele neu definieren. Fluchen. Leere. Sinnlosigkeit. Warum. Keine Antwort. Weiterfahren. Warme Dusche herbeisehnen. Schleifende Laufräder. Nervig. Gel reinwürgen. Hoffen. Nicht kotzen. Immer wieder Regen. Zuschauer. Heia Heia. Gänsehaut. Gute Truppe. Kurz anhalten. Armlinge hochziehen lassen. Grenzen erkennen. Eingeständnisse machen. Angst. Durchhalten. Nur noch 120km. Noch ungefähr vier Stunden. Schnitt schätzen. Hochrechnen. Lampe abgesoffen. Ende herbeisehnen. Oslo 71km. Zweistellig. Unwirklich. Schlaglöcher. Schlechte Straßen. Sturzgefahr. Halsschmerzen. Autobahn. Letzter Anstieg. Am Auto festhalten. Nur noch bergab. Ankommen. Medaille bekommen. Zum ersten Mal wichtig. Schulterklopfen. Tränen in den Augen. Nicht begreifen. Stolz. Keine Ahnung. Photo vergessen. Scheißegal. Raus aus den Klamotten. Dusche kalt. Frechheit. Hotdog essen. Einmal und nie wieder. Verdrängen. Aktionismus. Sachen packen. Rumlaufen. Lustig sammer Puntigamer. Hinlegen. Eine Stunde schlafen. SMS von Matthias. Freude. Heimfliegen. Verrückt. Total verrückt.

11 Juni 2007

 

Soloflucht

Nachdem ich die letzten Wochen vor allem mit Training und ein paar kürzeren Rennen (Vereinsrennen, Jedermannrennen bei "Rund um den Henniger Turm", C-Kriterium in Rheinstetten) verbracht hatte, stand endlich mal wieder "was Richtiges" auf dem Programm, sprich 205km und ordentlich Höhenmeter. Der Name der Gemeinheit: "Les Trois Ballons", ein Radmarathon in den Vogesen ausgerichtet vom gleichen Veranstalter wie "La Marmotte". Neben meiner Wenigkeit waren auch noch Matthias und Thomas (letzterer wollte sich auf der 104km Strecke austoben) mit von der Partie.

Matthias, Thomas und der Autor (v.l.n.r.) mit den neuen Teammützen

Unsere Herberge für eine Nacht (den Ländervergleich Deutschland vs. Belgien, mit den Belgiern, die auch dort übernachtet haben, sollten wir haushoch gewinnen!)

Dank meiner Vorjahreszeit von "La Marmotte" stehe ich um viertel vor sieben mit 450 anderen im ersten Startblock und warte darauf, daß der Startschuß fällt. Noch weiß ich nicht genau, was mich erwartet, aber die Zielsetzung ist klar: so lange wie möglich vorne mitfahren, wenn alles perfekt läuft könnte am Ende sogar eine Top10-Platzierung herausspringen (anhand der Vorjahreszeiten hatte ich das als halbwegs realistisch eingeschätzt). Soweit die Theorie, die allerdings häufig so grau ist, wie der Morgen, der uns mit Nebel empfängt. Mit leichter Verspätung geht es dann kurz vor halb acht los. Die Temperaturen sind angenehm, die Weste und die Armlinge hätte es eigentlich gar nicht benötigt. Die ersten rund 12km sind nahezu flach, das Tempo pendelt bei 33-38km/h. Keinerlei Drängelei, keine Hektik, nicht eine einzige gefährliche Situation. Herrlich. Wenn ich mich da an so manches Jedermannrennen erinnere, bei dem man tausend Tode stirbt, weil keiner um einen herum auch nur halbwegs geradeaus fahren kann. Ach, lassen wir das. Nach ungefähr 12km kündigen die ersten Wellen den Beginn des Anstiegs zum Ballon de Servance an. Die Anfahrt zum späteren Schlußanstieg lassen wir erst mal rechts liegen; der Ausblick auf die extrem steile Straße ist allerdings jetzt auch schon leicht furchteinflößend. Wir nehmen zunächst einmal die etwas flachere Straße Richtung Ballon de Servance, dem ersten Gipfel des Tages.
In den ersten Rampen taste ich mich langsam von Position 50 in Richtung erste zwanzig nach vorne; schließlich wird die Straße immer enger, und ich will vorne dabei sein, wenn sich eine erste Gruppe bilden sollte. Relativ bald geht es auch schon los, daß immer wieder Fahrer dem Tempo nicht mehr folgen können und zurückfallen, auch ich merke, wie das Tempo mir langsam aber sicher die Beine dick werden läßt. Noch gehe ich allerdings das Tempo der Spitze mit, liege ungefähr an zehnter Position. Als das Tempo allerdings nochmals erhöht wird, muß ich mir eingestehen, daß meine Form nicht reicht um dieses Höllentempo mitzugehen (ein späterer Blick auf meinen Pulsmesser weist einen Maximalpuls von 193 aus; das muß wohl in diesem Moment gewesen sein). Ich habe die Wahl zwischen Mitfahren und am Gipfel kaputt sein oder eigenes Tempo finden und weiter im Rennen bleiben. Ich entscheide mich für letzteres. Daraufhin werde ich erst einmal von einigen Fahrern überholt, so daß ich mich nun an ungefähr zwanzigster Position befinde. Von hinten holen mich drei Fahrer ein, deren Tempo ich mich anschließen kann. Zu viert erreichen wir den Gipfel, holen dabei auf der Paßhöhe fünf weitere vor uns liegende Fahrer ein und nehmen die enge, mit schlechtem Asphalt ausgestattete Abfahrt in Angriff.
In der Abfahrt holen wir weitere Fahrer ein, und werden unsererseits ebenfalls von Fahrern eingeholt, so daß sich am Fuße der Abfahrt eine etwa 20 Mann starke Gruppe gebildet hat. Zeit zu essen und zu trinken. Der folgende Col du Ménil ist kaum wahrnehmbar, so flach geht es auf der einen Seite hinauf und auf der anderen wieder hinab. Wie bei solchen Veranstaltungen üblich, ist es natürlich unmöglich in einer solch großen Gruppe eine vernünftige Zusammenarbeit zustande zu bringen. Das Gros der Fahrer drückt sich konsequent um die Führungsarbeit. Da mir das zu blöd ist, und ich auch ganz gerne an der Spitze einer Gruppe fahre, um den Überblick zu behalten, stecke ich meine Nase eben auch ein ums andere Mal in den Wind. Den Anstieg zum Col d'Oderen fahren wir im wesentlichen zu dritt von vorne; keine allzu schwieriger Anstieg, überwiegend kann ich das große Blatt stehen lassen. "1min 40" wird uns vom Streckenrand zugerufen, das muß wohl der Abstand auf die Spitzengruppe sein. Am Col d'Oderen gibt es das erste Mal Verpflegung, die aber von unserer Gruppe gemeinschaftlich ignoriert wird. Die Abfahrt nutze ich wieder um zu essen. Immer wieder kann ich ohne Probleme der Gruppe ein paar Meter enteilen; die Belgier und Holländer in meiner Gruppe sind einfach keine so guten Abfahrer. Wo sollen die auch üben?! Auf der Anfahrt zum Col de Bramont wird das Tempo wieder hochgehalten; 1min 50s beträgt unser Rückstand mittlerweile auf die Spitzengruppe, aus der wir noch ein oder zwei weitere zurückgefallene Fahrer aufsammeln. Am Col de Bramont wird zum ersten Mal dann richtig Tempo gefahren, Rennfeeling kommt auf. Hinten beginnt die Gruppe dann auch langsam etwas zu bröckeln und auch mir tut das Tempo - für das ich allerdings streckenweise selbst verantwortlich zeichne - durchaus weh. Über den Col de Bramont hinweg geht es in eine sehr kurze Abfahrt und mit Schwung in den nächsten Anstieg, der uns über den Col du Herrenberg auf die Routes des Crêtes Richtung Grand Ballon führen sollte, hinein. Ok, jetzt wird es ernst. Vorne schlagen fünf Fahrer ein solches Tempo an, daß auch mir zunächst die Luft wegbleibt bzw. ich ein wenig Angst vor der eigenen Courage bekomme. Ich lasse abreißen. Zu mir gesellen sich zwei weitere Fahrer, dahinter fliegt die Gruppe nun endgültig auseinander. Doch dann werden die fünf Fahrer an der Spitze langsamer, und mein Rückstand hält sich konstant bei 20-30m. Ich beobachte die Situation ein wenig und stelle fest, daß die da vorne auch nicht schneller fahren als ich, während sich hinter mir immer größere Löcher auftun. "Also gut, jetzt hoffe ich mal, daß mich mein Eindruck nicht trügt", denke ich mir und fahre das Loch in einer Hauruck-Aktion zu. Im Nu hänge ich hinten an der Gruppe dran und kann das Tempo der Gruppe mitgehen. Zu sechst erreichen wir die Routes des Crêtes, die uns leicht abfallend über Le Markstein Richtung Grand Ballon bringt. In Richtung Grand Ballon verheißt ein Blick gen Himmel nicht gerade gutes, tiefschwarz hängen die Wolken am Horizont und ein paar Regentropfen bekommen wir bereits hier ab. Aber das Wetter ist erst mal egal. Nach nur wenigen Metern entpuppt sich meine Entscheidung an diese Gruppe im Anstieg heranzufahren als goldrichtig: schnell bauen wir einen prächtig funktionierenden Kreisel auf, alles ohne Worte; ich weiß auch gar nicht, wen ich in welcher Sprache ansprechen sollte, es sind Holländer, Belgier und Franzosen in der Gruppe. Das ist aber auch egal, schließlich bin ich zum Radrennen fahren hierher gekommen, und nicht um Palaver zu führen. Ein weiterer Fahrer aus der Spitzengruppe wird von uns eingeholt und steigt gleich mit in die Führungsarbeit ein. Eine wunderbare Gruppe, wir sind uns einig und machen richtig Tempo. Le Markstein wird passiert, es geht Richtung Grand Ballon, dem einzigen Anstieg, den ich schon vorher kannte, der aber von dieser Seite aus kommend harmlos ist, da sich nur etwa 500-600 etwas steilere Meter an ein Flachstück bzw. leicht ansteigendes Stück anschließen. Zu Beginn des Steilstücks fahre ich in die Führung und ziehe einfach mein Tempo durch, was zur Folge hat, daß sich sofort ein kleines Loch hinter mir auftut. Nahezu im gleichen Moment sehe ich die Spitzengruppe über die Paßhöhe fahren. Mit dem Hintergedanken an die nun kommende Verpflegungsstation, an der ich wohl anhalten müßte, um mir meine Flaschen wieder zu füllen, ziehe ich meinen "Fluchtversuch" durch, schließlich weiß ich nicht, ob die anderen auch anhalten würden; ein paar aus meiner Gruppe wurden nämlich ganz offensichtlich von Begleitern am Straßenrand versorgt, so daß diese wohl eher nicht anhalten würden.
Oben angekommen wird mir allerdings wider Erwarten eine Flasche Wasser angereicht, die ich im Vorbeifahren annehme und in meine Trinkflasche umfülle. Ein kurzer Blick über meine Schulter zeigt mir, daß ich mich doch schon ein ganz ordentliches Stück von meiner Gruppe abgesetzt hatte. Was tun? Weiterfahren oder warten? Ich entscheide mich für weiterfahren, in der Hoffnung, daß ich als guter Abfahrer auch ein wenig Zeit nach vorne gut machen kann und vielleicht den einen oder anderen Abghängten aus der Spitzengruppe einsammeln würde. In der Abfahrt beginnt es zu regnen, trotzdem habe ich keine größeren Probleme. Ein einzelner Fahrer aus meiner ehemaligen Gruppe schließt von hinten zu mir auf, so daß wir uns wenigstens zu zweit im folgenden Flachstück etwas abwechseln können. Unten im Ort erlebe ich eine kurze Schrecksekunde, als ich einen Abzweig nach rechts verpasse; zum Glück fährt gerade eine Auto der Organisation direkt hinter mir und hupt mich wieder auf die richtige Strecke. Es folgt der Anstieg zum Col du Hundsruck, einer der niedrigeren Berge inmitten der drei großen "Ballons". Mein Fluchtgefährte verläßt mich gleich zu Beginn des Anstiegs; er läßt sich von einer Begleiterin verpflegen und hält dazu an. Alleine nehme ich nun den Anstieg in Angriff. Hier merke ich zum ersten Mal, daß meine Beine doch schon etwas schwer sind, und das obwohl noch rund 80km zurückzulegen sind. Auch beginnt es nun stärker zu regnen, was vor allem die Abfahrt sehr unangenehm macht. Vorsichtig steuere ich durch die teilweise engen Kurven. Am Fuße der Abfahrt wird es wieder trockener, und so langsam sehne ich die nächste Verpflegung herbei; das Wasser in meinen Flaschen geht langsam zur Neige. "Auf der Flachen", wie Jens Heppner sagen würde, versuche ich das Tempo weiterhin einigermaßen hochzuhalten. Der Tacho pendelt so zwischen 32 und 35km/h, von meinen Verfolgern ist noch nichts zu sehen, von der Verpflegung allerdings auch nicht.
Nach mir endlos erscheinenden Kilometern habe ich endlich die vorletzte Verpflegung direkt am Beginn des Anstiegs zum Ballon d'Alsace erreicht. Hier fülle ich mir meine beiden Flaschen nochmal randvoll mit Wasser bzw. Isostar, schnappe mir ein Stück Banane, erkundige mich nach meiner aktuellen Platzierung (neun Fahrer sind vorne weg, also liege ich momentan auf Platz 10) und fahre mit der Hoffnung diesen Platz bis ins Ziel halten zu können weiter. Obwohl ich sicherlich eine Minute gestanden habe, ist von meinen Verfolgern nichts zu sehen. Kurz nach der Verpflegung steht auch schon das Schild "Sommet à 10km" am Straßenrand, und ich nehme die ersten Kehren des Anstiegs in Angriff. Frisch gestärkt laufen die ersten Kilometer phantastisch, mir bleibt sogar Zeit mich an der Schönheit der Landschaft zu erfreuen; die Streckenführung im unteren Teil des Anstiegs läßt alpines Flair aufkommen und erinnert mich sogar ein wenig an den Albulapaß in der Schweiz. Doch sobald die Straße steiler wird, lassen die Kräfte wieder nach und die Geschwindigkeit sinkt rapide ab. So langsam machen sich doch die vielen Kilometer alleine bemerkbar. Mehr schlecht als recht erreiche ich den Gipfel und als ich mich kurz vor der Paßhöhe umdrehe, kann ich auch schon meine Verfolger sehen. Trotzdem warte ich zunächst nicht, sondern fahre in der Abfahrt mein Tempo weiter und kann mich wohl wieder ein wenig absetzen, da ich in der gesamten Abfahrt wieder keine Verfolger hinter mir sehen kann. Die Abfahrt ist schön zu fahren, schnelle, weite Kurven wechseln sich mit engen Spitzkehren ab, das ganze auf einer relativ breiten Straßen mit gutem Asphalt. Leider ist die Abfahrt nicht so steil, so daß man auch in der Abfahrt ordentlich arbeiten muß, um auf Tempo zu kommen. Bei Kilometer 165 ist Giromagny erreicht; dort waren wir doch gestern auf der Anfahrt auch durchgekommen und von dort war es doch gar nicht mehr soweit bis Champagney, wo wir gestartet waren. Wo kommen denn jetzt noch bitte 40km her, damit die angegebenen 205km erreicht werden?! Das sollte ich gleich sehen. Zunächst werde ich aber bei Kilometer 170 von fünf Fahrern gestellt; damit ist nach 70km meine Soloflucht beendet, und der Kampf um die Top10 beginnt von neuem. Wenn ich die Gruppe halten kann, so beginne ich zu rechnen, werde ich mindestens Fünfzehnter. Das wäre wohl auch ok. Erstmal tut es mir aber gut, wieder in einer Gruppe zu fahren; selbst wenn ich sofort wieder mit durch die Führung fahre, hilft es mir die Ansätze von Krämpfen, die ich phasenweise schon hatte, wieder loszuwerden und mich ein wenig zu erholen.
Doch mit der Erholung ist es nicht allzu lange hin: was jetzt folgt ist einer dieser hundsgemeinen, welligen Abschnitte, die kein Profil der Welt ordentlich hergibt (laut Profil sollte die Strecke bis zum Fuß des Schlußanstiegs mehr oder weniger flach sein), aber einem in leicht angeknocktem Zustand einfach den Rest geben. Außerdem ist es mittlerweile ziemlich warm geworden, was mir zusätzlich nicht so wirklich liegt. So geht es nun also dahin: schmale Straßen, 50 Höhenmeter rauf, dann 30 runter, dann wieder 60 rauf, dann mal 80 runter, usw. usf. An einer der Wellen lassen zwei Fahrer aus unserer Gruppe abreißen, was dazu führt, daß wir vorne zu viert noch mehr auf's Tempo drücken, schließlich sollten die nicht mehr wiederkommen. Ist ja immer noch ein Rennen und keine RTF! Plötzlich steht einer mit einer weißen Startnummer am Rad (also einer von der 205km Strecke) am Straßenrand und flickt seinen Reifen. Ist zwar gemein, aber in diesem Moment, dachte ich nur: "Sehr gut, wird ein weiterer Platz in den Top10 frei!" Also hatte ich jetzt schon mal eine 50:50-Chance die Top10 zu erreichen. Als es dann ein zweites Mal nach Champagney geht, und wir uns wieder auf der Straße befinden, die wir auch am Morgen auf den ersten Kilometern befahren hatten, holen wir einen weiteren Fahrer mit weißer Startnummer ein, der augenscheinlich auch ganz ordentlich einen in den Schuhen hat. Aber uns geht es auch nicht viel besser, keiner will mehr führen, wo wir morgens noch mit fast 40km/h entlang gefahren waren, bringen wir jetzt kaum noch 30km/h zustande. Einem aus unserer Gruppe wird es zu blöd; keiner fährt hinterher, und so fährt er schnell einen Vorsprung von etwa 100m heraus. Dahinter probiert es ein anderer Fahrer auch noch mal, aber da fahre ich das Loch noch mal zu, obwohl ich weder noch richtig Kraft noch die richtige Motivation dazu habe. Einzig den Fahrer, den wir in Champagney aufgesammelt hatten, werden wir dadurch los.
Zu dritt nehmen wir den Schlußanstieg in Angriff. Vor uns fährt der eine ausgerissene Fahrer bereits im Zick-Zack den Berg hlnauf. Der erste Kilometer ist auch gleich mal unendlich steil; über 10% im Schnitt, gefühlte 20%. Die ersten zwei-, dreihundert Meter sind noch ok bei mir, auch wenn sich der Fahrer, der schon auf den letzten 30km den stärksten Eindruck bei mir hinterlassen hatte, schnell absetzen kann. Noch liege ich in den Top10, und den "zickzackenden" Fahrer vor mir würde ich schon irgendwann noch einholen. Denkste. Nach ca. 500m werden die Beine immer schwerer, während die anderen um mich herum langsam wieder schneller werden, pendelt sich meine Geschwindigkeit bei 8-9km/h ein. Ich stehe wie ein Eimer, und was jetzt kommt, sollten die längsten 4km meines Lebens werden. Ok, ich muß da hoch. Irgendwie. Wäre schieben vielleicht besser? Ne, die Blöße kannste dir nicht geben. Sind ja 8km/h schon peinlich genug. Zu allem Überfluß kommt auch schon der erste von hinten und überholt mich. An mitfahren ist nicht zu denken, selbst wenn meine Beine noch irgendwie könnten (was ich in diesem Moment massiv bezweifle), will ich auch einfach nicht mehr. Ich will einfach nur, daß dieser Scheißberg zu Ende geht, und es oben Cola gibt. Ja, Cola, das wäre jetzt ein Traum. Stattdessen wird am Ende von Kilometer zwei auf einem kurzen Flachstück (es geht sogar etwas bergab) Wasser angereicht. Naja, auch nicht verkehrt, meine Flaschen sind schließlich auch schon wieder fast leer. Den erhofften Kick bringt das aber auch nicht, stattdessen geht es mit 8km/h weiter. Weitere Fahrer, die ich seit 130km nicht mehr gesehen hatte, überholen mich und sehen dabei sogar ziemlich locker und vor allem schnell aus. Frechheit. Ich leide hier und muß mich auch demütigen lassen. Die Kilometer wollen und wollen einfach nicht enden, und dieser blöde Berg ist einfach unendlich steil. Irgendwann ist endlich der letzte Kilometer erreicht, den ich damit verbringe hundertmeterweise herunterzuzählen (noch 900m, noch 800m, noch 700m, usw.). Oben angekommen macht Thomas noch ein paar Photos von mir, ich fahre durch's Ziel. Direkt auf den Getränkestand zu und endlich gibt es hier die ersehnte braune Flüssigkeit zu trinken.

Der Autor auf den letzten Metern, den leeren Blick geschickt hinter der verspiegelten Sonnenbrille versteckt

Am Ende steht in einer Zeit von 6h 54min (wenigstens hatte ich noch die 7h-Marke unterboten) Platz 20 Gesamt und Platz 5 in meiner Altersklasse zu Buche. Ein bißchen ärgerlich ist das Ganze schon. So nah war ich noch nie an den Top10 bei einem richtigen Radmarathon dran (der Sieger ist immerhin ein französischer GS3-Profi!), und ganz besonders ärgerlich ist die Tatsache, daß ich mit nur rund zwei Minuten weniger einen Podestplatz in meiner Altersklasse errungen hätte, und wenn ich etwa viereinhalb Minuten schneller gewesen wäre, hätte es sogar zum Sieg in der Altersklasse reichen können. Diese Minuten hab ich definitiv auf den letzten fünf Kilometern verloren, die ich den Berg mehr hinaufgestanden als -gefahren bin.
Also auf eine neues im nächsten Jahr, dieser Marathon hat von Länge und Höhenmetern her genau meine Kragenweite. Die Konkurrenz ist auch nicht ganz so unerreichbar wie bei "La Marmotte" oder dem "Ötzi". Ich werde nächster Jahr wieder am Start stehen und dann hoffentlich etwas ausgeruhter den Schlußanstieg angehen können. Ein bißchen mehr Streckenkenntnis könnte dabei dann behilflich sein.
Meine beiden Mitstreiter Thomas und Matthias will ich dann jedoch auch nicht vergessen: Thomas hat sich zur Zeit auf das Zerstören von Hinterrädern verlagert und hat an seinem (geliehenen!) Hinterrad sieben Kilometer vor Schluß eine Speiche ruiniert, so daß ihm der Schlußanstieg und leider auch eine Top30-Platzierung auf der 104km-Strecke verwehrt geblieben ist. Matthias erging es im Schlußanstieg ähnlich wie mir, trotzdem hat er eine ausgezeichnete Zeit von 7h 42min hingelegt und damit den 155. Gesamtplatz (Platz 18 in seiner Altersklasse) belegt.

Matthias auf den letzten Metern (gleich gibt's Cola!)

RIG Freiburg im Ziel: Thomas, Matthias, der Autor (v.l.n.r.)

Hier gibt's noch die vollständige Ergebnisliste. Und hier gibt's noch ein paar von den offiziellen Bildern aus dem Schlußanstieg: der Autor und Matthias.

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