10 Juli 2006

 

Auf den Spuren der Tour de France

Alles begann mit dem Link zu folgender Seite: www.sportcommunication.com, einer Seite auf der diverse französische Radmarathons präsentiert werden. Von allen dort vorgestellten Radmarathons hörte sich insbesondere "La Marmotte" sehr reizvoll an: lockt dieser Marathon doch mit so namhaften Pässen wie Col du Glandon, Col du Télégraphe, Col du Galibier und einer Bergankunft im legendären Alpe d'Huez. 5000 Höhenmeter verteilt auf gerade mal 174km versprachen eine ultimative Herausforderung in einer der schönsten Gegenden der Alpen. Eine extrem reizvolle Strecke, zumal eine Teilnahme für mich die Rückkehr zu meinen allerersten Alpenpässen bedeuten würde: im Rahmen eines Besuchs der Tour de France hatte ich 1998 den Col du Télégraphe, den Col du Galibier und Alpe d'Huez erklommen. Damals allerdings auf drei Tage verteilt! Schnell waren potentielle Mitfahrer gefunden, von denen leider am Ende nur Ingo und der Autor übrigblieben. Erst zwei Wochen vor dem Termin entschieden wir uns endgültig für eine Teilnahme. Ingo buchte ein Hotel in Bourg d'Oisans für uns, das sich im Nachhinein als echter Glücksfall entpuppte: lag es doch direkt in der Straße, in der die Fahrer sich für den Start aufstellten: wir sparten uns also das lästige Hintenanstellen ;-)
Im Gegensatz zu anderen Radmarathons wie z.B. dem Ötztaler Radmarathon ist bei La Marmotte eine kurzfristige Anmeldung möglich, was auch zur enormen Zahl von rund 7000 Teilnehmern beiträgt. Leider ist der Radmarathon in Deutschland nahezu unbekannt, was sich in einer extrem niedrigen Zahl von deutschen Teilnehmern niederschlägt, dafür ist die Veranstaltung bei Belgiern und Holländern umso beliebter, und auch die Italiener sind (wie immer bei solchen Radmarathons) stark vertreten. Den Sieg machen auch hier (ähnlich wie beim Ötztaler) (semi-)professionelle Radfahrer unter sich aus; die Siegerzeit des letzten Jahres lag bei 5h 50min; eine Zeit, die auch einem Teilnehmer der Tour de France sicherlich gut zu Gesicht stünde. Ich selbst hatte eine Zeit unter 7h und einen Platz unter den ersten hundert ins Auge gefaßt. Aber nun hinein ins Renngeschehen:
Nach dem der vorangegangene Tag noch mit wechselhaftem Wetter gesegnet war, empfangen uns an diesem Samstag ein strahlend blauer Himmel und Temperaturen von rund 15 Grad. Da fällt die Wahl der Bekleidung zum Glück recht leicht: kurze Hose, Trikot mit Armlingen und eine Windweste sollten genügen. So gerüstet stellen wir uns gegen 6.45 Uhr in die Startaufstellung, dank "taktisch cleverer" Hotelwahl stehen wir nicht ganz hinten, sondern mittendrin. Wie weit vorne läßt sich nicht abschätzen: nach vorne und nach hinten sind in der engen Straße nur Radfahrer zu sehen. Um 7.15 Uhr fällt der Startschuß, gegen 7.20 Uhr setzen wir uns in Bewegung. Exakt um 7.23 Uhr rollen wir über die Startlinie: das Abenteuer La Marmotte kann beginnen. Mit Zufriedenheit nehme ich wahr, daß wir sicherlich unter den ersten 1000 bis 1500 Fahrern sind, die das Rennen aufnehmen. Vom Start in Bourg d'Oisans weg geht es zunächst flach in Richtung Rochtaillée: Tempo 45-50. Ich halte voll rein, ich will nichts verschenken und so schnell wie möglich soweit nach vorne wie möglich. Nach 12km ist der Fuß des ersten Anstiegs zum Col du Glandon erreicht. Hier sehe und spreche ich Ingo zum letzten Mal, bevor wir uns im Ziel in Alpe d'Huez wiedersehen. Die ersten Kilometer des Anstiegs sind nicht besonders steil und immer wieder von Flachpassagen unterbrochen, nur langsam gewinnt man an Höhe. In der ersten Steilpassage versuche ich auf mein 28er Ritzel zu schalten, was meine Schaltung mit einem fürchterliche Rattern quittiert: Oh, Scheiße. Das konnte ja heiter werden, ohne 28er... Also zurück auf's 24er. Geht auch nicht richtig. Was ist mit der Schaltung los?! Im folgenden Flachstück schalte ich ein paar Gänge größer: wieso hängt jetzt plötzlich die Kette so durch?! Ein mehrmaliger Blick nach hinten auf's Schaltwerk bringt schließlich die Lösung: der Schaltzug war irgendwie im Startgetümmel verdreht worden. Also schnell angehalten, Schaltzug geordnet, und weiter geht's. Ah, was für ein Genuß: endlich sind alle Ritzel ohne Rattern zu bedienen. Nach dem Flachstück folgt eine kurze Abfahrt, nach der es in eine Steigung hinein geht, die es in sich hat: sicherlich 12-14% steil, ich bin froh, daß mein 28er nun tadellos funktioniert. Die weitere Auffahrt zum Col du Glandon verläuft eher unspektakulär, der Puls pendelt zwischen 165 und 170, das sollte passen. Über der Baumgrenze wird eine weiterer Stausee erreicht und uns eröffnet sich ein traumhaftes Alpenpanorama. Die letzten 3 oder 4km bis zur Paßhöhe fahre ich in einer kleinen Gruppe, und nach rund 1h 40min ist der erste Paß des Tages auch schon erreicht. 37km zeigt der Tacho an. Die Armlinge werden wieder hochgezogen, schnell noch die Weste übergezogen und dann geht es nach dem Auffüllen der Wasserreserven auch schon die Abfahrt hinunter nach St Etienne de Cuines. Die ersten Kilometer der Abfahrt sind unangenehm: schmale Straße, enge steile Kehren, vor jeder Kehre wird den Fahrern angedeutet langsam zu fahren. Trotzdem sehe ich in der dritten oder vierten Kehre Fahrer auf der Straße liegen; das sieht nicht so aus, als würden diese Fahrer weiterfahren können. Schnell verdrängen und weiter geht's bergab: ich überhole einen Fahrer nach dem andere, obwohl ich nicht das Gefühl habe, besonders schnell oder gar riskant abzufahren. Im Tal angekommen gelingt es mir gemeinsam mit einem anderen Fahrer zu einer kleinen Gruppe aufzuschließen. Gut so, geht es doch jetzt erst einmal rund 25km flach bis leicht ansteigend nach St Michel de Maurienne am Fuß des Col du Télégraphe. Leider rollt die Gruppe nicht so richtig, obwohl ein paar Holländer in der Gruppe sehr darum bemüht sind einen Kreisel zustande zu bekommen. Egal, nach insgesamt 81km ist der Fuß des Col du Télégraphe erreicht: es warten knapp 12km Anstieg mit rund 860 Höhenmetern auf mich und alle anderen. Dieser Berg war 1998, als ich gemeinsam mit meinem Vater die Tour de France besucht hatte, mein allererster Alpenpaß gewesen. Damals war dieser Berg eine Riesenherausforderung für mich, heute, so hoffte ich, sollte mir der Anstieg doch deutlich leichter fallen. Schnell setze ich mich aus meiner Gruppe ab, nur zwei Fahrer meiner Gruppe holen mich auf den folgenden Kilometern wieder ein; ich lasse sie ziehen, fahre mein eigenes Tempo, das je nach Steigung zwischen 14 und 18km/h pendelt. Einen Fahrer nach dem anderen kann ich überholen, die wenigen, die versuchen mir zu folgen, geben ihren Versuch meist nach wenigen hundert Metern wieder auf. An der Wasserstation zur Mitte des Anstiegs halte ich kurz und fülle meine Flaschen wieder auf, mittlerweile ist es doch recht heiß geworden, zu wenig trinken könnte sich rächen. Nach 45min ist die Paßhöhe erreicht, schnell noch mal was getrunken, dann geht es in die kurze Abfahrt hinunter nach Valloire. Hier waren mein Vater und ich 1998 auf dem Campingplatz gewesen. Von Valloire aus wartet der Anstieg zum für mich schönsten Paß der Alpen: dem Col du Galibier. 1250 Höhenmeter verteilt auf 18km. 1998 hatte ich anderthalb Stunden für den Anstieg gebraucht. So lange wollte ich heute nicht brauchen. Die Verpflegung in Valloire lasse ich aus: Wasser habe ich noch genug an Bord, zu Essen brauche ich nichts, ich habe meine eigenen Riegel und Gels dabei. Das erste Stück des Anstiegs beginnt mit moderaten Steigungsprozenten, so langsam spüre ich zwar die Anstrengungen von mittlerweile fast 100km und bereits rund 2500 Höhenmetern, dennoch ist mein Tritt runder als der der meisten anderen. Wiederum überhole ich Fahrer um Fahrer; nur ein Fahrer, ca. 20-30m vor mir, wehrt sich heftigst gegen das Eingeholtwerden. Es geht durch die beiden untersten Kehren, in denen ich 1998 im strömenden Regen ausgeharrt hatte und noch Hoffnung hatte, Jan Ullrich könnte sein gelbes Trikot verteidigen. Heute ist das Wetter zum Glück deutlich besser, aber dennoch nicht zu heiß. Weiter geht es das ewig lange Hochtal hinauf, das so tückisch zu fahren ist, da man die Steigung nicht wahrnimmt: ständig hat man das Gefühl es müßte doch besser rollen, dabei steigt die Straße sicherlich mit 7-9%. Kurz vor der Kehre bei Plan Lachat, die den Anstieg zum Galibier quasi zweiteilt, wird es kurz flacher. Ich nutze dieses Flachstück, um zu dem Belgier vor mir aufzuschließen. Dummerweise muß ich an der Wasserstation kurz anhalten, um meine Flaschen erneut zu füllen, während der Belgier durchfährt. Ich habe also wieder rund 20-30m Rückstand, die ich auch nicht mehr schaffe aufzuholen. Die Steigung wird steiler, dennoch bleibt mir etwas Zeit die grandiose Landschaft zu genießen: dieser zweite Teil des Anstiegs zum Col du Galibier zählt für mich zu den atemberaubendsten Naturerlebnissen und hatte schon 1998 einen bleibenden Eindruck bei mir hinterlassen. Immer wieder stehen Zuschauer an der Strecke, die jedem Fahrer "Allez, courage!" zurufen. Überhaupt muß man sagen, daß über die ganze Strecke verteilt für eine "Hobby"veranstaltung sehr viele Zuschauer am Streckenrand standen. Langsam macht sich auch die Anstregung in meinen Beinen bemerkbar; immer öfter brauche ich mein 28er Ritzel, und der Berg will und will nicht enden. Ich beginne zu rechnen: wie lange würde ich für die Abfahrt vom Galibier bis nach Bourg d'Oisans brauchen? Immerhin waren das 50km mit teilweise nicht allzu großem Gefälle. Eine Stunde hatte ich für den Anstieg nach Alpe d'Huez eingeplant, blieben also zwischen 1h und 1h 10min für Abfahrt. Nicht üppig, aber machbar. Weiter geht es bergauf. Endlich ist das Nordportal des mittlerweile wieder geöffneten Scheiteltunnels erreicht: jetzt noch ein Kilometer, der allerdings mit Abstand der steilste des ganzen Anstiegs ist: zum ersten Mal muß ich trotz 28er Ritzel in den Wiegetritt, die Geschwindigkeit ist nur noch ganz knapp zweistellig, so langsam bin ich leicht angeknockt und reif für die Abfahrt. Wenige Meter vor der Paßhöhe ruft ein Franzose am Streckenrand mir und meinen zwei Begleitern die Plazierung zu: "Cent-douze!" Hundertzwölfter also. Ha, das wäre doch gelacht, wenn ich nicht unter die ersten Hundert käme. Die ersten drei dieser zwölf, die ich noch überholen muß, lasse ich gleich mal dadurch stehen, daß ich die Verpflegung auf der Passhöhe auslasse und darauf verzichte kurz anzuhalten um die Weste überzuziehen. Es ist warm genug. Nach etwa 4h 50min gesamt und 1h 10min für den Anstieg stürze ich mich in die Abfahrt, die auch nicht gerade den Traum unter den Abfahrten darstellt: welliger Fahrbahnbelag, schmale Straße, enge Kehren, keine Leitplanke oder ähnliches. Trotzdem bin ich wohl einiges mutiger (oder besser) in der Abfahrt als einige meiner Mitstreiter, jedenfalls kassiere ich in der Abfahrt die nächsten fünf oder sechs Fahrer. Nach 8km ist der Col du Lautaret erreicht, die Straße wird breiter, aber nur bedingt besser. Leider wird die Straße auch flacher, so daß es ein echter Nachteil für mich ist, daß ich im Moment alleine bin. Obendrein schmerzt der Rücken durch die geduckte Abfahrtsposition, immer wieder versuche ich durch Streckübungen dem schmerzenden Rücken wenigstens kurzfristig Entlastung zu schaffen. Endlich sehe ich beim Blick nach hinten zwei weitere Fahrer; ich lasse mich einholen, zu dritt würden wir deutlich schneller sein. Nach wenigen Kilometern erreichen wir eine weitere Gruppe, nun sind wir also neun oder zehn Fahrer. Sehr gut. In den nicht allzu steilen Stücken wird schön gekreiselt, hier läuft die Gruppe richtig gut. Die Abfahrt ist immer wieder von Tunnels unterbrochen, die Straße ist auch teilweise sehr schlecht. Das eine oder andere Schlagloch nehme ich auch mit. Ungefährlich ist diese Hetzjagd nicht, zumal die Strecke nicht gesperrt ist, und wir uns auch noch mit dem normalen Autoverkehr rumschlagen müssen. Doch leider ist es mit der Harmonie in der Gruppe immer wieder schnell vorbei, wenn es flacher wird; keiner will führen, wenn ich versuche eine Ablösung zu fahren, fährt einfach keiner vorbei. Dann plötzlich der Schock: Arrivée à 25km. Nach meinem Tacho sollten es eigentlich nur noch 21km sein. Die 6h-Grenze rückt näher und Bourg d'Oisans ist noch nicht in Sicht. Das würde verdammt knapp werden mit den 7h! Eine Stunde würde ich mindestens für den Anstieg nach Alpe d'Huez brauchen, ich mußte auf jeden Fall nach weniger als 6h unten in den Anstieg hineinfahren. Im letzten Flachstück hinein nach Burg d'Oisans will dann vollends gar niemand mehr aus der Gruppe fahren, das Tempo sinkt teilweise unter die 30km/h-Grenze. Mir wird das ganze Geplänkel zu blöd: das ist ja schlimmer als bei C-Klasserennen! Ich setze mich an die Spitze und schraube das Tempo wieder auf 35-36km/h, schließlich geht es hier noch um was!!! Endlich (??) ist der Fuß von Alpe d'Huez erreicht: 5h 55min Fahrzeit sagt die Uhr. Scheiße, das würde verdammt eng werden. In bester Pantani-Manier sprinte ich unten den Berg hinein: großes Blatt, Unterlenker. Eine Schwachsinnsaktion, aber den Lutschern aus meiner Gruppe wollte ich gleich zeigen, was ich von ihnen halte. Es kann mir prompt auch nur einer folgen. Alpe d'Huez hatte ich so in Erinnerung, daß man unten zweimal vor einer Wand steht und nach 2km das gröbste geschafft ist. Der Rest ist dann zwar hart, aber machbar. So hatte ich mir das jedenfalls gedacht. Nach der ersten der 21 Kehren stehe ich vor jener zweiten besagten Wand, und kann mich nicht so recht entscheiden: 33/24 im Wiegetritt oder 33/28 im Sitzen. Für ersteres fehlt die Kraft, für zweiteres die Souplesse. Der Puls hämmert mit 175 Schlägen pro Minute. Und langsam geht das Wasser in meine Flaschen zur Neige: blöderweise hatte ich die Verpflegung am Beginn des Anstiegs ausgelassen, von der Straße abzubiegen hätte zuviel Zeit gekostet, außerdem hatte ich mich auf die zwei Wasserstationen im Anstieg verlassen. Nur mußte ich die erste jetzt erstmal erreichen, und das war wohl doch weiter als ich dachte. Ein Motorrad bietet meinem Begleiter und mir im Vorbeifahren irgendwelche Süßigkeiten an, die wir beide ablehnen. Ich frage, nein, schreie nach Wasser, woraufhin mir mein Begleiter (wohl wieder ein Belgier, nehme ich zumindest aufgrund der Internetadresse auf seinem Trikot an) seine Wasserflasche reicht. Tausend Dank! Es ist unerträglich heiß mittlerweile, wer Alpe d'Huez kennt, weiß daß an diesem Beg nahezu kein Baum Schatten spendet, hinzukommt, daß wir uns gerade mal auf rund 900m befinden: da ist es natürlich bedeutend wärmer als auf fast 2700m wie am Galibier! Obwohl ich nur noch das Gefühl habe den Berg mehr schlecht als recht hinaufzueiern, kann ich gemeinsam mit meinem Begleiter, der auch immer wieder mal zurückfällt oder mich um ein paar Meter distanziert, einen Fahrer nach dem anderen auffahren und überholen. Die Geschwindigkeit pendelt zwischen 11-12km/h an den Steilstücken und 13-15km/h in den etwas flacheren Passagen. Nur scheint dieser dumme Berg heute zu mindesten 95% aus Steilstücken zu bestehen. Ich leide. Vor meinem geistigen Auge sehe ich die 7h zerinnen, was nicht unbedingt zu meiner Motivation beträgt. Der Spruch "Quäl dich, Du Sau!" wäre jetzt wohl angebracht, aber im tiefsten Inneren will ich eigentlich nur vom Rad steigen und mich hinlegen. Endlich ist die Wasserstation erreicht, ich schreie nur "De l'eau, de l'eau!" und halte meine leere Trinkflasche einer Dame an der Verpflegung hin. Diese sprintet förmlich zum Wassehahn um mir die Flasche zu füllen, eine andere reicht mir eine wassergefüllten Becher, den ich halb leer trinke und mir den Rest über den Kopf schütte. Und schon geht's weiter. Durch den kurzen Stop fühlen die Beine sich kurzzeitig wieder etwas besser an. Mein Begleiter hat durch meinen Stop auch wieder zu mir aufgeschlossen. Gemeinsam kämpfen wir uns nun Kehre um Kehre nach oben, mal ich an seinem Hinterrad, dann wieder er an meinem. Es ist eine Zweckgemeinschaft ohne viele Worte, nur hin und wieder wird über die Hitze und den Anstieg geflucht. Ich rechne und rechne, würde es für eine Zeit unter 7h noch reichen? Die 174km-Marke, bei der laut offizieller Kilometerangabe die Schinderei ein Ende hätte haben sollen, erreiche ich beim Schild "Arrivée à 4km". 6h 40min zeigt der Tacho. Scheiße, bei korrekter Kilometerangabe hätte ich die 7h locker im Sack gehabt. 20min für 4km, das sind 5min pro Kilometer, also ein 12er Schnitt. Normalerweise machbar, auch an diesem Berg, aber die Geschwindigkeit bewegt sich zwischen 11 und 12km/h, selten mal 13km/h. Außerdem macht mir die Hitze extrem zu schaffen. Innerlich ich verfluche alles: den Berg, die Hitze, das Radfahren im speziellen und allgemeinen, meine ehrgeizigen Ziele,... Zu allem Überfluß kommt nun auch noch Wind auf, natürlich von vorne. Ich versuche mich am Hinterrad meines Begleiters ein wenig zu verstecken, aber so richtigen Windschatten finde ich dort auch nicht. Was will man bei 12km/h auch großartig an Windschatten erwarten?! An der 3km-Marke wird der Berg endlich etwas flacher, wenn auch zunächst kaum wahrnehmbar. Irgendwie bekommt der Belgier so etwas wie die zweite Luft: Meter um Meter nimmt er mir ab, wenn ich versucht hätte dranzubleiben, wäre ich komplett geplatzt. Aber, war ich das nicht eh schon? Ich stehe auf dem Pedal, kämpfe, würge, mit Radfahren hat das nicht mehr viel zu tun. Endlich ist die letzte Kehre erreicht und der Ort Alpe d'Huez erreicht, dennoch sind es noch zwei Kilometer. Hier hatte ich 1998 meine Auffahrt nach 1h 05min beendet, heute passiere ich diesen Punkt nach 55min und muß noch 2km zurücklegen. Endlich, endlich wird es bedeutend flacher. Ein Italiener am Sraßenrand feuert mich (aufgrund meines azurblauen Trikots mit grün-weiß-rotem Brustring?) nochmals lautstark an. Noch eine Kehre im Ort, ein kurzer Tunnel, durch einen Kreisverkehr geht es sogar bergab, großes Blatt und Tempo 35 ist noch einmal angesagt, und dann ist sie endlich erreicht: die berühmte Linkskurve in Alpe d'Huez, um die schon so viele Radprofis gebogen, bevor es die letzten Meter zum Ziel hinauf geht. Diese letzten Meter werden auf der großen Scheibe absolviert. Ehrensache! Der Sprecher erwähnt meinen Namen als ich den Zielstrich passiere, rätselt ob ich nun Italiener oder Spanier bin, woarufhin ich dann doch korrigieren muß und ihm mitteile, daß ich "allemand", also Deutscher sei. Schnell noch die Stopuhr gedrückt: 6h 57min, 1h 01min für Alp d'Huez! Ich hatte mein Ziel erreicht. Mit steifen Beinen steige ich vom Rad und nehme die erstbeste Möglichkeit wahr, um mich zu setzen. Ziel erreicht: 178km mit (laut meinem Höhenmesser sogar) 5200 Höhenmetern und das ganze in weniger als 7h! Tränen des Glücks und der Überwältigung laufen mir durchs Gesicht. Ich kann das Ganze noch nicht wirklich begreifen. Ein unglaubliches Erlebnis, härter und einprägsamer als der Ötzi letztes Jahr, den ich zwar mit Respekt, aber ohne allzu hochgesteckte Ziele angegangen war, "Ankommen" war das Ziel gewesen. Hier hatte ich mir ein ehrgeiziges Ziel gesteckt und habe es unter Aufbietung all meiner Kräfte erreicht.

Noch ein paar Anmerkungen und Zahlen:
Der Autor fuhr wie üblich eine Kompaktkurbel mit 50/33er Bestückung, dieses Mal in Kombination mit einer 12-28er Kassette.

Die Zeiten für Anstiege im einzelnen:
- Col du Glandon (ab Rochtaillée): 1h 29min
- Col du Télégraphe (ab St Michel de Maurienne): 45min
- Col du Galibier (ab Valloire): 1h 10min
- Alpe d'Huez (ab Bourg d'Oisans): 1h 01min

Die Zeit von 6h 57min reichte für Gesamtplatz 74, in der Kategorie der 19- bis 29-jährigen sogar für Platz 24. Sieger war wie im Vorjahr Emmanuele Negrini (in den Jahren 2003-05 jeweils Zweiter des Ötztaler Radmarathons) in einer Zeit von 5h 50min; wenn sich der Autor beim Blick auf das Klassement nicht total vertan hat, ist er bester Deuscher im Feld von rund 7000 Starter geworden.

Ingo konnte bei seinem ersten Alpenmarathon (und seinen ersten "echten" Pässen überhaupt!!) gleich eine Zeit von 7h 58min erzielen und belegte damit auch einen Platz unter den ersten 500!

Bilder vom Autor gibt's hier.

EDIT: Noch ein paar weitere Bilder und die offiziellen Ergebnislisten gibt's hier (auf dem obersten Bild sieht man links unser Hotel, ebenso ist Ingo gut zu sehen und der Helm des Autors ist zu erahnen). Laut offizieller Ergebnisliste bin ich jetzt sogar 71. der Gesamtwertung, jedoch "nur" noch 28. in meiner Altersklasse. Offizielle Zeit ist 6h 59min 05s, während auf meiner Urkunde 6h 57min 05s steht. Möglicherweise ist das eine die Brutto- und das andere die Nettozeit. Eine wirkliche Erklärung für diesen Unterschied habe ich jedoch nicht.

Comments:
klemm dir mal ne cam an den lenker, ist zwar schön zu lesen, aber der mensch ist ja ein augentier!

m.
 
Hier hast du deine Bilder ;-)
 
Hallo, schöner Bericht. Ich werde dieses Jahr ebenfalls am Start sein, konnte bislang aber noch kein Hotel finden. Wie hieß denn eueres in dem ihr untergekommen seid?

MfG,

Claude Wurth
 
hier noch meine e-mail, dann kannst du auch auf meine Frage antworten ;)

claude.wurth@education.lu
 
Kommentar veröffentlichen

<< Home

This page is powered by Blogger. Isn't yours?