13 September 2009

 

Das geht sich aus!

Nach einjähriger Abwesenheit stehe ich wieder in Sölden an der BP-Tankstelle am Start des Ötztaler Radmarathons und friere erst mal. Das durchwachsene Wetter vom Vortag ist zum Glück einer klaren Nacht gewichen, was wir aber mit Temperaturen im tiefen einstelligen Bereich bezahlen müssen. Ein hohes Ziel hatte ich mir für dieses Jahr gesetzt: dieser verdammte Pin mit der Aufschrift „unter 8 Stunden“ mußte dieses Jahr her. Mit Flo, Matthias und Freundin Steffi, stehe ich im ersten Startblock und freue mich, daß ich auch sofort einige bekannte Gesichter wie Harry und Micha sehe. Das gegenseitige Glückwünschen und Austauschen der letzten Rennergebnisse verkürzt die Wartezeit bis zum Start dann doch ein wenig. Noch mal schnell der drückenden Blase nachgegeben und wieder zurück in die Startaufstellung. Wir bekommen noch die wichtigsten Informationen durchgesagt, darunter so prickelnde Informationen wie jene, daß es am Kühtai gerade nur zwei Grad hat. Der Streckensprecher erzählt noch mal, daß es 238 km mit 5500 Hm seien – lustigerweise spricht der italienischsprachige Sprecher nur von 229 km. Das wird wohl der Grund sein, weshalb die Italiener so schnell sind...

Um 6.45 Uhr fällt dann endlich der Startschuß, und das Rennen auf das ich mich das ganze Jahr vorbereitet und gefreut habe, geht los. Nur wenige Meter hinter der Startlinie gleich die erste Schrecksekunde: da liegen schon die ersten auf dem Asphalt, und ich fast mittendrin, da ich gerade damit beschäftigt war meinen Tacho zum laufen zu bringen, was mit den langen Handschuhen gar nicht so einfach ist. Eiskalt ist mir, ich kann kaum das Rad geradeaus halten, weil ich so zittere, und meine Hoffnung, daß es zügig losgehen würde wird auch nicht erfüllt – das Führungsfahrzeug fährt, wie ich finde, extrem langsam, was die Sache eher gefährlicher als sicherer macht. Ich fühle mich alles andere als sicher auf dem Rad, mir ist kalt, und ich hoffe nur, daß ich die Abfahrt bis Ötz heil überstehe. Endlich zieht auch das Führungsfahrzeug an, und das Tempo wird höher. Wärmer wird mir dadurch leider trotzdem nicht. Nach etwa 40 Minuten, rund fünf Minuten langsamer als ich gehofft hatte, hat die Zitterei endlich ein Ende, und Ötz ist erreicht.

An schätzungsweise hundertster Position biege ich um den Kreisverkehr und versuche sofort mich weiter nach vorne zu orientieren. In meinem Übermut fahre ich durch eine Lücke, die eigentlich nicht wirklich groß genug ist, und räume dabei fast einen Italiener ab, der mir alles an Flüchen hinterruft, was ihm so einfällt - „Testa di cazzo!“ ist da noch das freundlichste, was ich zu hören bekomme. Tut mir ja leid, war auch mein Fehler, aber jetzt suche ich schnellstmöglich das Weite. Auf den ersten beiden steilen Kilometern sortiert sich so langsam das Feld, und ich lasse die Schnellsten zunächst ziehen. Als es nach etwa zwei Kilometern flacher wird, sehe ich die Spitzengruppe vor mir langsamer werden und schließe mit einem kleinen Zwischenspurt die Lücke. Doch ich habe kaum aufgeschlossen, da muß ich auch schon einsehen, daß diese Gruppe genau jene 0,5 bis 1 km/h schneller fährt, als es für mich gut ist. Ich lasse wieder abreißen und befinde mich zunächst im „Niemandsland“ zwischen erster und zweiter Gruppe. Langsam schließen andere Fahrer zu mir auf, während andere auch einsehen müssen, daß die Spitzengruppe für sie zu schnell fährt. Insgeheim hatte ich ja schon gehofft mit den Besten über das Kühtai zu kommen, aber dieser Plan ist nun schon nach drei Kilometern Makulatur. Jetzt gilt es den eigenen Tritt zu finden, was an diesem umrhythmischen Berg und bei der Kälte nicht gerade leicht fällt. Immerhin verwöhnt uns die Natur mit einer herrlichen Morgenstimmung; der abziehende Nebel und die klare, kalte Luft verleihen diesen ersten Steigungskilometern einen ganz besonderen Zauber.


Nach Ochsengarten geht es im Steilstück durch eine Baustelle, die allerdings – zumindest für die vorderen Gruppen – kein Problem darstellt. Mittlerweile hat sich eine relativ große Gruppe zusammengefunden und gemeinsam streben wir dem ersten Paß des Tages entgegen. Kurz unterhalb der Paßhöhe stehen meine Eltern. Schnell im Vorbeifahren den vorbereiteten Verpflegungsbeutel gegriffen, die beiden Flaschen verstaut und weiter geht’s.



Nach 1 Stunde und 41 Minuten ist die Kühtai-Paßhöhe erreicht, das heißt etwa 61 Minuten Fahrzeit für das Kühtai – das ist nach meinem Geschmack. Schnell ein Gel reingedrückt, mit einem großen Schluck nachgespült, Weste wieder zugemacht und die langen Handschuhe wieder angezogen. Die Abfahrt verläuft unspektakulär und wie immer sehr schnell, nach etwas mehr als einer halben Stunde ist Innsbruck erreicht. Jetzt gilt es den Brenner zu bewältigen.

Nach den Erfahrungen aus dem Jahr 2007, als ich krampfhaft versucht hatte eine Gruppe zum laufen zu bringen und dabei viel Kraft gelassen hatte, ohne daß meinen Bemühungen Erfolg beschieden war, ist mein Plan in diesem Jahr mich konsequent zu verstecken. Keinen Meter will ich im Wind fahren, stattdessen gilt die Devise Kräfte sparen und verpflegen. Anscheinend haben noch ein paar andere denselben Plan, denn das Tempo ist alles andere als schnell. Aber gut, dann kann ich in aller Ruhe essen und mich auch ein wenig mit Harry und Peter unterhalten, beides Leidensgenossen von unserer Trondheim-Oslo-Unterwasserfahrt. Insgesamt verläuft die Brennerauffahrt ohne große Ereignisse, fast schon langweilig. Einzig die Frage, wann und wo ich am besten zum pinkeln anhalte, beschäftigt mich. Als Harry mit demselben Hintergedanken am Steilstück kurz vor der Passhöhe aus unserer Gruppe rausfährt, schließe ich mich ihm an und stelle mich an den Straßenrand. Leider dauert das mal wieder viel zu lang mit dem Pinkeln, und bis ich fertig bin, ist die gesamte Gruppe schon an mir vorbeigerauscht. Kurz vor der alten Mautstelle hab ich das Ende der Gruppe aber wieder eingeholt. Jetzt muß nur noch mit der Verpflegungsübergabe alles glattgehen. Da stehen auch schon Rebecca und Andrea. Ich bremse ein wenig ab, entledige mich meiner langen Handschuhe und greife im Vorbeifahren meinen Beutel mit Trinkflaschen und weiteren Gels. Bis ich jedoch alles in meinen Trikottaschen verstaut habe, ist die Gruppe auch schon wieder enteilt, und ich ganz allein auf weiter Flur. Mist. Mit einem Kraftakt versuche ich der Gruppe wieder näherzukommen, aber in der eher flachen und einfachen Abfahrt Richtung Sterzing habe ich keine Chance noch mal näherzukommen. Fluchend trete ich in die Pedale. So eine Scheiße. Das kostet Zeit und Kraft. Von hinten nähert sich ein weiterer Fahrer, der im gleichen Dilemma steckt wie ich. Wenigstens sind wir jetzt zu zweit. Gemeinsam schimpfen wir über unsere schlecht getimeten Pinkelstopps und versuchen so gut wie möglich Gas zu geben. Das kostet mich Zeit, unnötige Körner und vor allem auch die Chance mir am Jaufen ein gutes Hinterrad zu suchen. Auf dem kurzen Flachstück zwischen Sterzing und Beginn des Jaufenpasses schließen weitere Fahrer von hinten zu uns auf.

Der Jaufenpaß ist erreicht, jetzt gilt's. Ein Blick auf die Uhr und ich beginne zu rechnen: etwas mehr als vier Stunden bin ich jetzt unterwegs, für den Jaufen gebe ich mir eine Stunde, für die Abfahrt nach St. Leonhard 25 Minuten, für die Auffahrt zum Timmelsjoch plane ich mal lieber zwei Stunden ein und für die Abfahrt nach Sölden sollten so 35 Minuten realistisch sein. Ok, auf 8-Stunden-Kurs bin ich wohl, aber ich will ja mehr. Also Weste ausziehen, Trikot aufmachen und auf geht’s. Auf den Jaufen freue ich mich, andererseits hatte ich bei all meinen bisherigen Teilnahmen am Jaufen auf den letzten Kilometern immer eine Krise, insbesondere 2007 hätte ich auf dem Jaufengipfel das Rad am liebsten in den Straßengraben geschmissen. Aber daran verschwende ich jetzt keinen Gedanken. Es rollt gut, und daß ich am Brenner meine Gruppe verloren hatte, hat jetzt den kleinen psychologischen Vorteil, daß ich jetzt immer wieder Fahrer ein- und überhole. Andererseits finde ich nur wenig Unterstützung in meinem Bestreben ein wenig von der verlorenen Zeit wieder gutzumachen. Aber mein Tritt ist gut, und noch habe ich nicht das Gefühl, daß mir ein Einbruch drohen könnte. Weiter geht die Fahrt. Ich versuche die verbleibenden Kilometer bis zum Gipfel abzuschätzen und auszurechnen, wie schnell ich fahren muß, um nach fünf Stunden Fahrzeit oben zu sein – da ich die restlichen Kilometer aber nicht genau kenne, ein eher fehlerträchtiges Unterfangen, aber immerhin eine Beschäftigung. Mittlerweile hat sich immerhin der eine oder andere Fahrer mir angeschlossen. Ich versuche weiterhin mein Tempo so konstant wie möglich zu halten, und lasse auch mal Fahrer ziehen, wenn mir das Tempo zu hoch erscheint. Endlich ist die Baumgrenze erreicht und der Blick auf die letzten Kehren bis zur Paßhöhe wird frei gegeben. Genau hier hatte ich bei allen meinen bisherigen Teilnahmen meine große Krise, aber dieses Jahr habe ich mir die Kräfte offensichtlich besser eingeteilt. Der Tritt ist weiterhin rund, und so stellen dieses Mal die letzten Kehren kein unüberwindbar scheinendes Hindernis für mich dar. Nach 5:02 h erreiche ich die Paßhöhe des Jaufenpaß. Brauche ich etwas zu trinken? Ein kurzer Blick auf meine Trinkflaschen: eine ist noch ganz voll – das sollte bis zur Labe in Schönau reichen. Also die Weste übergezogen und dann meine Lieblingsabfahrt runter. Im Kopf erneuere ich meine Rechnung: Acht Stunden minus 35 Minuten für die Abfahrt vom Timmelsjoch minus zwei Stunden für die Timmelsjochauffahrt ergibt 5:25 h. 23 Minuten für die Abfahrt. Das sollte doch zu schaffen sein. Etwas vorsichtiger als ich das von mir in Erinnerung hatte, aber dennoch zügig steuere ich durch die vielen Kehren. Immer wieder ein kurzer Blick auf die Uhr. Sollte passen. Auf den letzten Abfahrtskilometern taucht vor mir eine fünf oder sechs Fahrer große Gruppe auf. Das paßt ja perfekt, dann bin ich auf den ersten, flachen Kilometern des Timmelsjochs nicht allein. Da muß ich rankommen. Ich gebe noch mal alles in der Abfahrt und just im Kreisverkehr in St. Leonhard habe ich den Anschluß geschafft. Nochmal ein kurzer Blick auf die Uhr: exakt 5:25 h. Perfekt.

Jetzt geht’s richtig los. Ab hier wird der Ötzi zum Ötzi, am Timmelsjoch zeigt sich, wer sich die Kräfte gut eingeteilt hat, und wer anfangs gnadenlos überzogen hat. Auch ich habe hier schon die unerschiedlichsten Erlebnisse gehabt. An die Timmelsjochauffahrt meines ersten Ötzis erinnere ich mich nur noch schemenhaft, bei meiner zweiten Teilnahme siegte der Kopf über den Körper, fuhr ich mit von Krämpfen geplagten Beinen, und bei meiner bisher letzten Teilnahme plagte mich am Fuß des Anstiegs die nackte Angst den Berg nicht zu schaffen. Und heute? Verhaltene Zuversicht würde ich es nennen. Klar, ich spüre meine Beine und der Anstieg ist immer lang und streckenweise sehr steil, aber immerhin geht es um mein großes Ziel hier und heute die Acht-Stunden-Marke zu knacken, und dafür muß ich das Timmelsjoch laut meiner Rechnung in weniger als zwei Stunden bewältigen. Die magischen Zahlen in meinem Kopf lauten 7:25 h. Das war die Marke, die es auf der Paßhöhe zu erreichen galt. Also los, nicht lange fackeln. Ich fahre in der Gruppe, in der ich auch Peter wiedertreffe, mit durch die Führungen, das ist mir jetzt egal, ob das jeder macht oder ob da welche nur draufliegen. An den ersten etwas stärker steigenden Stücken übernehme ich sogar alleine die Führung. Ok, das läuft ja mal recht gut. Noch ist der Anstieg von Flachpassagen durchsetzt, in denen die Gruppe von Nutzen ist, und ich mich immer wieder kurz im Windschatten der anderen erholen kann. Am Straßenrand taucht eine Gruppe von Italienern auf, die uns frenetisch anfeuern und uns „acqua per tutti“ anbieten und somit für etwas Abkühlung bei mittlerweile doch recht warmen Temperaturen sorgen. Bisher läuft es bei mir wunderbar. Meine Sorge gilt jedoch den steilen Kilometern ab Moos. Würde sich meine Führungsarbeit dort rächen? Egal, zwei Stunden für das Timmelsjoch sind zwar machbar, aber üppig viel Puffer hab ich nicht. Ich muß jetzt fahren. In den Kehren bei Moos zerfällt unsere Gruppe schließlich. Mit zwei weiteren Fahrern fahre ich aus der Gruppe raus. Schnell habe ich meinen Tritt gefunden. Ich erinnere mich, wie ich vor zwei Jahren mit 8 bis 9 km/h hier hinaufgeschlichen war und das Gefühl hatte zu stehen, heute bleibt Geschwindigkeit durchweg zweistellig, pendelt meist zwischen 11 und 12 km/h. Dafür überhole ich einen Fahrer nach dem anderen, denen es so wie mir vor zwei Jahren zu ergehen scheint. Meine zwei Begleiter mußte ich zwar ziehen lassen, aber dennoch überhole ich Fahrer um Fahrer, die mir teilweise aufmunternde Worte zurufen. Nichtsdestotrotz sehne ich das Flachstück mit der Labe herbei, andererseits will ich auch schnell an Höhe gewinnen, weil es weiter oben kühler ist. Hier unten ist es mir in der Zwischenzeit doch einen Tick zu warm. Zum Glück gibt es am Timmelsjoch regelmäßige Kilometerangaben, was mir meine Rechenspiele doch erheblich erleichtert. Auf Basis von verbleibenden Kilometern und Höhenmetern, sowie abgeschätzter Steigrate und bisheriger Durchschnittsgeschwindigkeit versuche ich möglichst präzise hochzurechnen, ob die magischen 7:25 h erreichbar sind oder nicht. Das Ergebnis ist mehr oder weniger immer dasselbe: könnte klappen, aber genau vorhersagen kann ich es nicht. Immerhin hab ich aber noch eine zweite Beschäftigung neben dem Treten. Beim Erreichen des Flachstücks treffe ich auf einen Deutschen, der mir auch wieder ein paar mutmachende Worte zuruft, um sich dann in meinen Windschatten zu hängen. So froh ich über das Flachstück bin, es bricht meinen Rhythmus. Ich könnte hier sicherlich auch etwas schneller fahren, aber ich bin auch froh mir eine kleine Verschnaufpause gönnen zu können und nutze diese Phase um mich noch mal zu verpflegen. An der Labe greife ich mir im Vorbeifahren eine Flasche Wasser. Das sollte bis ins Ziel reichen. Meine Getränketaktik ist bisher perfekt aufgegangen. Auch die ausgelassene Jaufenlabe hat sich nicht gerächt. Von hinten hat Peter mit einem Begleiter wieder aufgeschlossen. Zu fünft nehmen wir die letzten zehn Kilometer bis zum Gipfel in Angriff. Beim Blick nach oben geht mir Erik Zabels Worte durch den Kopf: „Schaut euch die Scheiße an. Wär ick doch bloß Surfer jeworden.“ Aber es hilft ja alles nichts. Jetzt muß noch mal richtig draufgetreten werden. Und das tue ich dann auch. Ohne daß ich Gefühl habe besonders schnell zu fahren, fällt einer nach dem anderen aus unserer Kleingruppe zurück. Jetzt bin ich allein. Nur noch der Berg und ich – und die magischen 7:25 h im Kopf.



Vom Straßenrand werde ich immer wieder angefeuert. Irgendwie läuft das heute. Der Tacho fällt auch an den steilsten Passagen nicht unter 11 km/h. Ich erreiche das „5 tornante“-Schild, von dem ich mich beim letzten Mal hatte täuschen lassen und dachte es seien nur noch fünf Kehren bis zum Tunnel. Dieses Mal weiß ich es besser. Ich erreiche die Getränkelabe und lasse mir meinen üblichen Becher Cola reichen, von dem ich die üblichen drei Alibi-Schlücke trinke. Es wird für einen kurzen Moment noch mal etwas flacher. Dieses Mal nutze ich diesen Abschnitt nicht, um mich zu erholen, sondern gebe Gas. Ok, wie weit wird es noch bis zum Tunnel sein? Drei Kilometer? Gut, ich fahre im Moment 11 bis 12 km/h, das heißt etwas mehr fünf Minuten pro Kilometer. Nehm ich mal sechs Minuten, dann hab ich noch ein bißchen Puffer. Wie schnell fahre ich auf den den letzten beiden flacheren Kilometern? 20 km/h? 20 km/h, also drei Minuten je Kilometer macht dann ab hier noch 24 Minuten bis zum Paß. Die sieben Stunden sind auf meiner Uhr noch nicht durch. So langsam glaube ich daran, daß ich es schaffen kann. Jetzt, letzter Kilometer vor dem Tunnel. Vor mir kämpft ein Fahrer in grauem Trikot. Der scheint ordentlich einen im Schuh zu haben. Aber auch meine Geschwindigkeit sinkt jetzt langsam doch in Richtung 10 km/h ab. Trotzdem komme ich dem Fahrer zentimeterweise näher. Schließlich kann ich auf seiner Startnummer den Namen lesen: Christian Ceralli. Das kann nicht sein. Der hat hier doch schon mal gewonnen. Genau, das war in meinem Premierenjahr 2005. Das muß ein anderer Christian Ceralli sein. Das sind doch nicht die zeitlichen Regionen, in denen ein ehemaliger Sieger unterwegs ist. Im Vorbeifahren werfe ich ihm einen kurzen Blick ins Gesicht: Tatsache, er ist es. Ich habe soeben einen Ex-Sieger überholt. Von diesem Gedanken abgelenkt vergesse ich für einen Moment sogar meine Rechnereien. Außerdem ist das Tunnelportal erreicht und damit das Schlimmste geschafft. Jetzt noch zwei flachere Kilometer. Ich nehme Fahrt auf und erreiche einen weiteren Fahrer, der über seine Rückenschmerzen klagt. Gemeinsam erreichen wir die Paßhöhe. Die Uhr zeigt 7:15 h Fahrzeit an. Das sollte doch passen. Schnell noch die Weste überziehen und dann stürzen wir uns zu zweit in die Abfahrt.


Jetzt noch die Gegensteigung und das Flachstück bei Obergurgl. Von hinten schließt Christian Ceralli wieder zu uns auf und läßt uns an der Gegensteigung auch gleich stehen. Auch die Gegensteigung ist heute mehr lästige Pflicht als echtes Hindernis. In einer der letzten steilen Kehren stehen meine Eltern und machen nochmals Photos. Ich rufe ihnen ein zuversichtliches „Das geht sich aus!“ zu.



Auf dem folgenden Flachstück bei Obergurgl befallen mich dann aber doch wieder Zweifel. Laut meiner Rechnung sollten es noch 17 km sein, und jetzt noch dieser Gegenwind, und zwei Fahrer, die beide eigentlich nur noch am Hinterrad des jeweils anderen fahren wollen. Hier bekomme ich dann doch noch mal Angst um meine sub 8 h-Zeit. Als dann endlich Zwieselstein erreicht ist, zerstreuen sich meine Ängste jedoch wieder – das Ziel ist doch näher als meine Rechnung es nahegelegt hat. Durch die letzten Kehren runter nach Sölden. Das 1000 m-Schild. Wie immer ist die Straße mit Zuschauern gesäumt. Meinen Begleiter aus der Abfahrt muß ich vor der letzten Kurve dann noch ziehen lassen, aber um die Platzierung geht es mir auch nicht. Die Zeit zählt und die ist deutlich unter acht Stunden. Nach 7:48 h habe ich meinen ganz persönlichen Sieg erzielt und rolle in entsprechender Pose ins Ziel. Ein Blick auf den Tacho verrät meinen Rechenfehler: statt der erwarteten 232 km stehen da nur 226 km. Ich hatte die Abfahrt sechs Kilometer länger gemacht und mir damit selbst noch mal einen gehörigen Schrecken eingejagt.



Im Ziel treffe ich Harry wieder – seine eine Minute Vorsprung vom Brenner hat er bis ins Ziel auf drei Minuten ausgebaut. Auch Flo ist im Ziel – in unfassbaren 7:23 h. Dabei hatte ich nach seinen Worten („Ich hab ja für sowas langes gar nicht trainiert und brech wahrscheinlich am dritten Berg ein.“) immer darauf gewartet, daß ich ihn am Timmelsjoch wieder einsammeln würde. Aber diesen Gefallen hat er mir nicht getan.

Nach ein paar Radlern („Lustig sammer, Puntigamer!“) gehe ich zurück in unser Appartement, dusche und ziehe mich um und komme dann genau rechtzeitig wieder zurück zum Ziel, um Steffi in Empfang zu nehmen. In unheimlich starken 9:39 h hat sie ihre Ötzi-Premiere auf Platz 25 bei den Frauen beendet. In ihrer AK hat es mit Platz 10 sogar noch für die Top10 gereicht. Platzierungen, von denen meinereiner beim Ötzi nur träumen kann.
Nach 10:21 h erreicht mit Matthias auch der letzte im Bunde das Ziel. Es war nicht sein Tag, aber dank eines bravourösen Kampfes hat auch er das Ziel erreicht.

Am Abend waren dann alle wieder guter Laune und es konnte gemeinschaftlich eine Riesenpizza vertilgt werden.


Abschließend noch mal der Dank an alle, die uns unterstützt haben: Uwe von der RIG für seine Bemühungen wegen eines Busses, Andrea und Rebecca für die Verpflegung am Brenner, meinen Eltern für Verpflegung am Kühtai und Photos, und zu guter Letzt noch an Jan, der mich mit seiner letztjährigen Zeit zu dieser Leistung angestachelt hat.

Grüße und Respekt für Eure Debutleistungen auch noch an Die.Radproleten.

P.S.: Sorry an alle bisherigen Leser. Da waren ja teilweise haarsträubende grammatikalische Fehler drin, die ich jetzt - hoffentlich alle - gefunden und korrigiert habe. Das passiert eben, wenn man sich nach mehreren Stunden des Berichttippens das Korrekturlesen meint sparen zu können *verschämtzubodenblick*

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