31 Juli 2006

 

Einmal Testo-Gedeck, bitte!

Dank Floyd Landis wissen wir ja nun, was es braucht um eine grandiose Leistung auf dem Fahrrad zu vollbringen: Training? Ach, Quatsch! Doping? Ich bin sauber! Nein, zwei Bier und (mindestens) vier Whisky, und man fährt am nächsten Tag wie ein junger Gott. Da meinereiner für die Teilnahme an einem Radmarathon etwas früher aufstehen muß als Herr Landis für seine Touretappen, beließ ich es am Vorabend des Arberradmarathons bei einem Bier und einem Grappa, außerdem sparte ich mir den obligatorischen Einbruch am Vortag, in dem ich einfach gar nicht fuhr. Aber ein bißchen mehr der Reihe nach.
Der Arberradmarathon in Regensburg gehört zu den größen Radmarathons in Deutschland und bietet auf der großen Runde mit 250 km und 3300 Hm einiges an Schwierigkeiten, auch wenn es mit Sicherheit schwerere Radmarathons gibt, nicht nur im Alpenraum. Aber wie heißt es doch immer so schön wie abgedroschen: es sind die Fahrer, die ein Rennen schwer machen und nicht die Strecke. Als ehemaliges VCR-Mitglied war mir eine Teilnahme am "echten" Arber in meiner Regensburger Zeit leider verwehrt, dennoch war mir von der vereinsinternen Streckenbefahrung die Strecke zumindest noch teilweise bekannt. Daher wollte ich diese Teilnahme dieses Jahr im Kreise einiger Vereinskollegen nachholen. Schließlich fanden sich Ingo und Matthias als Mitfahrer, die Runde wurde von Markus und zwei Freunden von Markus komplettiert. Markus, Basti und Hannes wollten die 170km-Runde in Angriff nehmen, während es für Ingo, Matthias und mich schon die große 250km-Runde sein mußte.
Der Vorabend wurde bei Pasta und Bier (Erklärung siehe oben ;-)) verbracht. Ingo, Matthias und ich sorgten für Erstaunen und Freude seitens der Küchenchefin, in dem wir alle drei noch bevor wir aufgegessen hatten die zweite Portion Pasta orderten; so ganz wollten wir uns dann doch nicht einzig und allein auf das Testo-Gedeck verlassen.
Nach einer kurzen Nacht (mein Wecker klingelte um 4:30 Uhr) treffe ich mich um 5:15 Uhr mit Matthias und Ingo, um zum Start zu fahren.


Gegen 5:30 Uhr treffen wir am Start ein, das reicht um sich ziemlich weit vorne in der Startaufstellung einreihen zu können. Eigentlich sah die Planung vor, die Strecke als Trainingsfahrt unter leicht verschärften Bedingungen zu nutzen, trotzdem ist es nie verkehrt beim Start weit vorne zu stehen; man geht damit einfach der Sturzgefahr aus dem Weg.



Punkt 6 Uhr gibt Regensburgs Oberbürgermeister den Startschuß ab, rund 1500 Rennradler setzen sich im nebligen Morgengrauen in Bewegung. Die ersten 15km sind flach; Matthias, Ingo und ich sind in erster Linie damit beschäftigt Plätze nach vorne gutzumachen. Wenigstens bis zum Arber vorne mitfahren war das unausgesprochene Ziel. Im ersten Anstieg ist es dann mit der Ruhe schon etwas vorbei, es wird durchaus relativ zügig gefahren.



Ein herrlicher Ausblick bietet sich uns, als wir das erste Mal durch die Nebeldecke hindurchstoßen und uns die Morgensonne entgegen leuchtet. Durch den Nebel ist es zwar etwas kühler als in den letzten Wochen, aber das schadet ja in keinster Weise und ist sehr angenehm. Nach den ersten kleineren Anstiegen und ca. 40-50 absolvierten Kilometern stelle ich mich an den Straßenrand: die Blase drückt. Dadurch sehe ich, daß die erste Gruppe sich schon etwas vom Rest der Teilnehmer abgesetzt hat; noch ca. 100-120 Fahrer sollte die erste Gruppe umfassen. Ohne Probleme gelange ich (auch dank der Unterstützung von Ingo und Matthias) zurück ins Feld. Weiter geht es in zügigem Tempo (der Schnitt lag zu diesem Zeitpunkt bei rund 35 km/h!) Richtung Cham. Die dort befindliche Verpflegung lassen wir aus; die Getränke sollten bis zur Verpflegung in Regenhütte reichen. Durch die in einem Kreisverkehr entstehende kurze Unordnung, gelangen Matthias, Ingo und ich an die Spitze des Feldes: ein Augenblick, den Ingo sofort mit seiner Kamera festhält.


Im nun langsam steiler werdenden Terrain, halten wir noch mal kurz mit ein paar weiteren Fahrern an, um ein weiteres Mal auszutreten. Dieses Mal fällt der Anschluß ans Feld schon etwas schwerer, ich lasse Matthias und Ingo zunächst hinter mir. Kurze Zeit später kommt Matthias zurück und meint, Ingo sei zurückgefallen, hätte den Anschluß ans Feld nicht wieder geschafft. Mittlerweile sind rund 90 km absolviert, die Fahrzeit beträgt gerade Mal rund 2:40 h. Bald müßte der erste längere Anstieg, der Anstieg zum Arber erreicht sein. Ich unterhalte mich mit Matthias, der meint, er müsse dann wohl reißen lassen, wenn es in den Anstieg hineinginge. Obwohl wir eigentlich eine "gemütliche Kaffeefahrt" geplant hatten, kommt schon zum jetzigen Zeitpunkt der Wettkämpfer in mir durch: wenn ich vorne dabei bin, kann ich nicht einfach so auf gemütlich fahren umschalten. Kurze Zeit später reihen sich die Amateure vom VCR vorne zu viert ein, und schrauben das Tempo in der Anfahrt zum Arber mal locker von ca. 35 km/h auf satte 45 km/h. Jetzt wird Einerreihe gefahren, das Feld zieht sich in die Länge, die wollen ganz klar nicht mit einer so großen Gruppe in den Anstieg fahren. Nach rund 10km Tempohatz geht es in den Anstieg zum Arber hinein: große Scheibe vorne, Tempo 30,31,32, hinten bröckelt das Feld auseinander, vor mir reißt ein Loch, das ich noch mal schaffe zuzufahren. Vorne 3 Regensburger (darunter Stefan Thaller, Vierter des diesjährigen 3-Länder-Giro), Stefan Mistler (in den letzten 4 Jahren zweimal Sieger des Arberradmarathons, Sieger des GP Schwarzwald in den beiden vergangenen Jahren) und zwei weitere Fahrer, die mir unbekannt sind. Noch hänge ich dran, aber der Puls hämmert mit 185 Schlägen pro Minute, wenn ich so weiterfahren würde, würde ich das Ziel in Regensburg gar nicht oder nur auf dem Zahnfleisch erreichen. Also lasse ich abreißen, versuche mein eigenes Tempo zu finden. Hinter mir kann ich einen weiteren Fahrer erkennen, auf ihn warte ich. Gemeinsam fahren wir zügig, aber nicht zu schnell Richtung Paßhöhe. Kurz vor der Paßhöhe überholen wir einen Fahrer der 6er-Spitzengruppe. Dann geht es die kurze, nicht allzu schwierige Abfahrt hinunter nach Bayerisch-Eisenstein. Auf der leicht abschüßigen Straße werden wir von einer 5er-Gruppe wieder eingeholt. In Regenhütte fülle ich nur kurz meine Flaschen, essen wäre jetzt total verkehrt: es folgt der schwierigste Anstieg des Arberradmarathons, der Anstieg zum Bretterschachten. In der Verpflegung werden wir von ein paar Fahrern überholt, die die Verpflegung auslassen, so daß ich den Überblick über meine Platzierung verliere. Zu viert nehmen wir den Anstieg in Angriff, ein Antritt meines Begleiters vom Arberanstieg führt dazu, daß wir die beiden anderen Mitstreiter abhängen. Ich übernehme die Tempoarbeit für uns beide, fahre kurzzeitig auf Wunsch meines Begleiters etwas langsamer. Trotzdem kommt nach kurzer Zeit von hinten die Ansage, ich solle zufahren. Auf dem Gipfel des Bretterschachten hole ich einen Fahrer ein und werde selbst von einem von hinten kommenden Fahrer aus Herpersdorf (wie an seinen Radklamotten unschwer zu erkennen ist ;-)) eingeholt. Wir sind also nun zu dritt. So geht es in rasanter Abfahrt hinunter nach Bodenmais.


Auf den folgenden leicht abschüßigen Kilometern versuchen wir durch regelmäßige Ablösungen das Tempo hochzuhalten. Vor uns taucht ein weiterer Fahrer auf, zu dem wir an einer leichten Welle aufschließen; er hatte auf uns gewartet. Dafür ist einer der anderen beiden Fahrer an der Welle abgefallen, wir sind also wieder zu dritt. Auf dem Trikot des eingeholten Fahrers lese ich "Die Zyklonauten". Das kommt mir doch irgendwie bekannt vor.... Genau, Tour-Forum! Der eingeholte Zyklonaut stellt sich mir auf Nachfrage als "Tourmentor" vor. Zu dritt geht es in die nächste kürzere Steigung hinein, nach ein paar weiteren kürzeren Wellen, kommt der Anstieg hinauf nach Kolmberg. Diesen hatte ich als heimtückisch und vor allem extrem heiß in Erinnerung. Ich sollte mich nicht täuschen. Obendrein treffen hier die große Tour A (250km) und die kleinere Tour B (170km) zusammen, was einerseits den Vorteil hat, daß man nun nicht mehr allein auf der Strecke ist, andererseits aber den großen Nachteil in sich birgt, daß man es mit vielen langsamen Fahrer (und Fahrerinnen) zu tun hat, denen das Geradeausfahren teilweise doch recht schwer fällt. Mehr als einmal kommt es zu brenzligen Situationen; die Geschwindigkeitsunterschiede am Berg sind teilweise schon frappierend.



Ungefähr in der Mitte des Anstiegs zieht mein Begleiter aus Herpersdorf das Tempo ein bißchen an; ich kann dieser Tempoverschärfung zunächst nicht folgen, kämpfe mich aber wieder heran, wahrscheinlich auch dadurch begünstigt, daß er das Tempo wieder ein bißchen rausnimmt. Leider fällt Tourmentor auch ein Stück zurück, ruft mir noch etwas von wegen Doping hinterher, was ich ihm mit meinem Testo-Gedeck vom Vorabend erkläre. Ich sehe in erst im Ziel wieder. Irgendwo in diesme Anstieg überholen wir auch einen Regensburger Fahrer der ehemaligen Spitzengruppe, die sich am Fuße des Arbers gebildet hatte. Oben an der Verpflegung ist die Hölle los: wir kämpfen und drängeln uns nach vorne, wir haben es etwas eiliger als die meisten Fahrer der 170er Runde. Schnell die Flaschen auffüllen, zwei halbe Bananen schnappen und weiter geht's. Irgendwo hier überholen wir Hannes und Basti, die dem Augenschein nach auch noch recht fit sind; Markus war auf die 125km-Runde abgebogen, wie ich im Vorbeifahren von Basti und Hannes erfahre.



Nach einer kurzen Abfahrt folgt der Anstieg zur Maibrunner Höhe, mittlerweile tauchen von Zeit zu Zeit meine Eltern am Streckenrand auf und verewigen mein Tun in digitaler Form, teilweise sogar in bewegten Bildern, wie ich allerdings erst hinterher erfahre. Das Auftauchen meiner Eltern hat, neben der dadurch möglichen Bebilderung diese Berichts, einen zweiten hübschen Nebeneffekt: ich kann die Weste, die Armlinge und die Handschuhe loswerden, die ich morgens beim Start wegen der Kühle gebraucht hatte und bis zu diesem Zeitpunkt in meinen Trikottaschen transportieren mußte. Von der Maibrunner Höhe hinab folgt erst einmal eine etwas längere Abfahrt, bevor es über leicht welliges Terrain bis zum letzten nennenswerten Anstieg bei Ascha geht.



In diesem Anstieg setzt sich mein Herpersdorfer Begleiter immer wieder ein paar Meter von mir ab, wartet dann allerdings freundlicherweise immer wieder auf mich. Ob das wirklich nur an den Lightweight-Laufrädern liegt, wie er versucht mir zu erklären?! Wir erreichen die letzte Verpflegung bei Saulburg: hier wollten Matthias, Ingo und ich eigentlich ganz gemütlich ein kühles Kneitinger trinken, bevor es auf die letzten 45 km gehen sollte. Daran ist jetzt nicht zu denken: erstens ist es an der Verpflegung so voll, daß ich sogar darauf verzichte nochmals Wasser nachzutanken, und zweitens hätte mich ein Bier zu diesem Zeitpunkt wohl ins Jenseits befördert. Also wird diese Verpflegung auch ausgelassen, irgendwie muß die restliche Flüssigkeit in meinen Flaschen bis Regensburg reichen. Wir holen einen weiteren Regensburger der ehemaligen Spitzengruppe ein, liegen also jetzt mit ziemlicher Sicherheit in den Top10. Die letzten 40 km gehen flach durchs Donautal nach Regensburg, zum Glück finden wir noch ein paar Mitstreiter, so daß es uns gelingt das Tempo bei 35-40 km/h zu halten. Meine Führungen fallen allerdings von Ablösung zu Ablösung immer kürzer aus, viel ist nicht mehr drin in meinen Beinen. Insgesamt verläuft die Rückfahrt nach Regensburg eher unspektakulär. Am Ortseingang von Regensburg werden wir auf den Radweg umgeleitet und an jeder roten Ampel rigoros zum Anhalten gezwungen. Ein in meinen Augen ziemlich albernes Verhalten seitens der Polizei, aber was will man machen.... Es ist ja bestimmt sicherer mit Tempo 35 auf einem Radweg zu fahren als auf der Straße. Schließlich ist das Ziel am Dultplatz in Regensburg erreicht.


Das Erreichen des Ziels verläuft eher unspektakulär, kein Sprecher, der einen ankündigt (wie noch bei La Marmotte geschehen), kaum Zuschauer, nur Unmengen von Radlern, die von den kürzeren Runden zurückkommen und ebenfalls das Ziel erreichen. Nach meiner Zieldurchfahrt treffe ich Stefan Mistler (dieses Jahr Zweiter) und erfahre von ihm, daß bisher vielleicht 3 oder 4, maximal 5 Fahrer der großen Runde im Ziel sind. Ich habe also definitiv einen Top10-Platz erreicht, meine Bruttofahrzeit (inkl. aller erzwungenen Ampelstops) liegt bei 7:20 h, die Nettofahrzeit ist rund 5-6min kürzer; dummerweise spinnt mein Tacho im Ziel etwas rum, so daß meine Tagesaufzeichnungen gelöscht werden. Ein Radio-Reporter vom Bayerischen Rundfunk befragt Stefan Mistler und mich noch kurz zu unseren Eindrücken von der Strecke. Blöderweise vergesse ich zu fragen, wann und wo der Beitrag zum Arberradmarathon gesendet werden würde. Kurze Zeit später erreichen Hannes und Basti das Ziel; auch sie sind mehr als zufrieden mit ihrem Abschneiden. Matthias und Ingo treffen ca. 40 min nach mir im Ziel ein; sie hatten sich ein Radler in Saulburg gegönnt :-) Markus taucht auch auf: frisch geduscht und bereits umgezogen. Zu sechst holen wir uns das wohlverdiente Essen und das noch wohler verdiente Bier und lassen das Erlebte noch ein wenig wirken.


Fazit: Tolles Wetter (nach anfänglichem Nebel schön sonnig, aber nicht mehr ganz so heiß wie in den letzten Wochen), tolle Streckenabsicherung (Begleitmotorräder bis Kilometer 100, danach Verkehrsregelung an jeder Kreuzung), zur Verpflegung kann ich nicht viel sagen, da ich an zwei der vier Verpflegungen vorbeigefahren bin. Ein Danke auch an die diversen Leute im Ziel, die uns ihre Getränkebons geschenkt haben. Leider mußten wir noch mit Auto zurückfahren, sonst hätten wir uns wohl noch ein paar Bier anstelle von Cola geholt ;-)
Arberradmarathon 2006, in allen Belangen ein schönes Erlebnis!

P.S.: Vielen Dank an meinen Vater für die, wie ich finde, phantastischen Bilder! Ich hoffe, daß ich in den nächsten Tagen noch ein paar Bilder von Markus und Ingo bekomme, so daß ich den Bericht bildertechnisch noch ein bißchen aufpeppen kann. Der Mensch ist schließlich ein Augentier (gell, Markus?!).

EDIT: Bilder von Ingo hinzugefügt.

11 Juli 2006

 

La Marmotte 2006 - die Bilder

Hier nun ein paar Impressionen rund um La Marmotte 2006 (den dazugehörigen Bericht gibt's hier):

Am Tag davor in Alpe d'Huez (links Ingo, rechts der Autor)

Der Autor am Tag davor auf der Zielgeraden

Der Autor am Start

Am Start mit 7000 anderen Verrückten ;-)

Ingo und der Autor am Start: noch guter Dinge

Im ersten Anstieg des Tages: Col du Glandon

Noch mal am Glandon

Kurz vor der ersten Paßhöhe des Tages

Der Autor am Col du Glandon: noch ist der Blick entspannt

Die ersten Meter zum Col du Galibier: irgendwo da hinten ist die Paßhöhe!

Die zweite Kehre am Col du Galibier:
hier hat der Autor 1998 gefroren und Ullrich und Pantani zugejubelt

Attacke! Die Paßhöhe des Galibier ruft!

Volle Konzentration auch bergab:
die Abfahrt vom Galibier ist technisch anspruchsvoll

Leiden in Alpe d'Huez, Teil 1

Leiden in Alpe d'Huez, Teil 2

Geschafft! Ingo und der Autor kaputt, aber glücklich im Ziel

Triumph! Alpe d'Huez bezwungen!

Noch immer kämpfen sich hunderte den Schlußanstieg hinauf, während Ingo und der Autor bereits auf dem Weg nach unten Richtung Dusche unterwegs sind

Kehre Nr. 21, also die erste Kehre, ist dem Größten aller Zeiten und ersten Sieger in Alpe d'Huez (1952) gewidmet: il campionissimo Fausto Coppi

Vielen Dank an Ingo für die Bilder! Wer mehr Bilder von La Marmotte sehen möchte, dem sei das komplette Photoalbum von Ingo empfohlen.

10 Juli 2006

 

Auf den Spuren der Tour de France

Alles begann mit dem Link zu folgender Seite: www.sportcommunication.com, einer Seite auf der diverse französische Radmarathons präsentiert werden. Von allen dort vorgestellten Radmarathons hörte sich insbesondere "La Marmotte" sehr reizvoll an: lockt dieser Marathon doch mit so namhaften Pässen wie Col du Glandon, Col du Télégraphe, Col du Galibier und einer Bergankunft im legendären Alpe d'Huez. 5000 Höhenmeter verteilt auf gerade mal 174km versprachen eine ultimative Herausforderung in einer der schönsten Gegenden der Alpen. Eine extrem reizvolle Strecke, zumal eine Teilnahme für mich die Rückkehr zu meinen allerersten Alpenpässen bedeuten würde: im Rahmen eines Besuchs der Tour de France hatte ich 1998 den Col du Télégraphe, den Col du Galibier und Alpe d'Huez erklommen. Damals allerdings auf drei Tage verteilt! Schnell waren potentielle Mitfahrer gefunden, von denen leider am Ende nur Ingo und der Autor übrigblieben. Erst zwei Wochen vor dem Termin entschieden wir uns endgültig für eine Teilnahme. Ingo buchte ein Hotel in Bourg d'Oisans für uns, das sich im Nachhinein als echter Glücksfall entpuppte: lag es doch direkt in der Straße, in der die Fahrer sich für den Start aufstellten: wir sparten uns also das lästige Hintenanstellen ;-)
Im Gegensatz zu anderen Radmarathons wie z.B. dem Ötztaler Radmarathon ist bei La Marmotte eine kurzfristige Anmeldung möglich, was auch zur enormen Zahl von rund 7000 Teilnehmern beiträgt. Leider ist der Radmarathon in Deutschland nahezu unbekannt, was sich in einer extrem niedrigen Zahl von deutschen Teilnehmern niederschlägt, dafür ist die Veranstaltung bei Belgiern und Holländern umso beliebter, und auch die Italiener sind (wie immer bei solchen Radmarathons) stark vertreten. Den Sieg machen auch hier (ähnlich wie beim Ötztaler) (semi-)professionelle Radfahrer unter sich aus; die Siegerzeit des letzten Jahres lag bei 5h 50min; eine Zeit, die auch einem Teilnehmer der Tour de France sicherlich gut zu Gesicht stünde. Ich selbst hatte eine Zeit unter 7h und einen Platz unter den ersten hundert ins Auge gefaßt. Aber nun hinein ins Renngeschehen:
Nach dem der vorangegangene Tag noch mit wechselhaftem Wetter gesegnet war, empfangen uns an diesem Samstag ein strahlend blauer Himmel und Temperaturen von rund 15 Grad. Da fällt die Wahl der Bekleidung zum Glück recht leicht: kurze Hose, Trikot mit Armlingen und eine Windweste sollten genügen. So gerüstet stellen wir uns gegen 6.45 Uhr in die Startaufstellung, dank "taktisch cleverer" Hotelwahl stehen wir nicht ganz hinten, sondern mittendrin. Wie weit vorne läßt sich nicht abschätzen: nach vorne und nach hinten sind in der engen Straße nur Radfahrer zu sehen. Um 7.15 Uhr fällt der Startschuß, gegen 7.20 Uhr setzen wir uns in Bewegung. Exakt um 7.23 Uhr rollen wir über die Startlinie: das Abenteuer La Marmotte kann beginnen. Mit Zufriedenheit nehme ich wahr, daß wir sicherlich unter den ersten 1000 bis 1500 Fahrern sind, die das Rennen aufnehmen. Vom Start in Bourg d'Oisans weg geht es zunächst flach in Richtung Rochtaillée: Tempo 45-50. Ich halte voll rein, ich will nichts verschenken und so schnell wie möglich soweit nach vorne wie möglich. Nach 12km ist der Fuß des ersten Anstiegs zum Col du Glandon erreicht. Hier sehe und spreche ich Ingo zum letzten Mal, bevor wir uns im Ziel in Alpe d'Huez wiedersehen. Die ersten Kilometer des Anstiegs sind nicht besonders steil und immer wieder von Flachpassagen unterbrochen, nur langsam gewinnt man an Höhe. In der ersten Steilpassage versuche ich auf mein 28er Ritzel zu schalten, was meine Schaltung mit einem fürchterliche Rattern quittiert: Oh, Scheiße. Das konnte ja heiter werden, ohne 28er... Also zurück auf's 24er. Geht auch nicht richtig. Was ist mit der Schaltung los?! Im folgenden Flachstück schalte ich ein paar Gänge größer: wieso hängt jetzt plötzlich die Kette so durch?! Ein mehrmaliger Blick nach hinten auf's Schaltwerk bringt schließlich die Lösung: der Schaltzug war irgendwie im Startgetümmel verdreht worden. Also schnell angehalten, Schaltzug geordnet, und weiter geht's. Ah, was für ein Genuß: endlich sind alle Ritzel ohne Rattern zu bedienen. Nach dem Flachstück folgt eine kurze Abfahrt, nach der es in eine Steigung hinein geht, die es in sich hat: sicherlich 12-14% steil, ich bin froh, daß mein 28er nun tadellos funktioniert. Die weitere Auffahrt zum Col du Glandon verläuft eher unspektakulär, der Puls pendelt zwischen 165 und 170, das sollte passen. Über der Baumgrenze wird eine weiterer Stausee erreicht und uns eröffnet sich ein traumhaftes Alpenpanorama. Die letzten 3 oder 4km bis zur Paßhöhe fahre ich in einer kleinen Gruppe, und nach rund 1h 40min ist der erste Paß des Tages auch schon erreicht. 37km zeigt der Tacho an. Die Armlinge werden wieder hochgezogen, schnell noch die Weste übergezogen und dann geht es nach dem Auffüllen der Wasserreserven auch schon die Abfahrt hinunter nach St Etienne de Cuines. Die ersten Kilometer der Abfahrt sind unangenehm: schmale Straße, enge steile Kehren, vor jeder Kehre wird den Fahrern angedeutet langsam zu fahren. Trotzdem sehe ich in der dritten oder vierten Kehre Fahrer auf der Straße liegen; das sieht nicht so aus, als würden diese Fahrer weiterfahren können. Schnell verdrängen und weiter geht's bergab: ich überhole einen Fahrer nach dem andere, obwohl ich nicht das Gefühl habe, besonders schnell oder gar riskant abzufahren. Im Tal angekommen gelingt es mir gemeinsam mit einem anderen Fahrer zu einer kleinen Gruppe aufzuschließen. Gut so, geht es doch jetzt erst einmal rund 25km flach bis leicht ansteigend nach St Michel de Maurienne am Fuß des Col du Télégraphe. Leider rollt die Gruppe nicht so richtig, obwohl ein paar Holländer in der Gruppe sehr darum bemüht sind einen Kreisel zustande zu bekommen. Egal, nach insgesamt 81km ist der Fuß des Col du Télégraphe erreicht: es warten knapp 12km Anstieg mit rund 860 Höhenmetern auf mich und alle anderen. Dieser Berg war 1998, als ich gemeinsam mit meinem Vater die Tour de France besucht hatte, mein allererster Alpenpaß gewesen. Damals war dieser Berg eine Riesenherausforderung für mich, heute, so hoffte ich, sollte mir der Anstieg doch deutlich leichter fallen. Schnell setze ich mich aus meiner Gruppe ab, nur zwei Fahrer meiner Gruppe holen mich auf den folgenden Kilometern wieder ein; ich lasse sie ziehen, fahre mein eigenes Tempo, das je nach Steigung zwischen 14 und 18km/h pendelt. Einen Fahrer nach dem anderen kann ich überholen, die wenigen, die versuchen mir zu folgen, geben ihren Versuch meist nach wenigen hundert Metern wieder auf. An der Wasserstation zur Mitte des Anstiegs halte ich kurz und fülle meine Flaschen wieder auf, mittlerweile ist es doch recht heiß geworden, zu wenig trinken könnte sich rächen. Nach 45min ist die Paßhöhe erreicht, schnell noch mal was getrunken, dann geht es in die kurze Abfahrt hinunter nach Valloire. Hier waren mein Vater und ich 1998 auf dem Campingplatz gewesen. Von Valloire aus wartet der Anstieg zum für mich schönsten Paß der Alpen: dem Col du Galibier. 1250 Höhenmeter verteilt auf 18km. 1998 hatte ich anderthalb Stunden für den Anstieg gebraucht. So lange wollte ich heute nicht brauchen. Die Verpflegung in Valloire lasse ich aus: Wasser habe ich noch genug an Bord, zu Essen brauche ich nichts, ich habe meine eigenen Riegel und Gels dabei. Das erste Stück des Anstiegs beginnt mit moderaten Steigungsprozenten, so langsam spüre ich zwar die Anstrengungen von mittlerweile fast 100km und bereits rund 2500 Höhenmetern, dennoch ist mein Tritt runder als der der meisten anderen. Wiederum überhole ich Fahrer um Fahrer; nur ein Fahrer, ca. 20-30m vor mir, wehrt sich heftigst gegen das Eingeholtwerden. Es geht durch die beiden untersten Kehren, in denen ich 1998 im strömenden Regen ausgeharrt hatte und noch Hoffnung hatte, Jan Ullrich könnte sein gelbes Trikot verteidigen. Heute ist das Wetter zum Glück deutlich besser, aber dennoch nicht zu heiß. Weiter geht es das ewig lange Hochtal hinauf, das so tückisch zu fahren ist, da man die Steigung nicht wahrnimmt: ständig hat man das Gefühl es müßte doch besser rollen, dabei steigt die Straße sicherlich mit 7-9%. Kurz vor der Kehre bei Plan Lachat, die den Anstieg zum Galibier quasi zweiteilt, wird es kurz flacher. Ich nutze dieses Flachstück, um zu dem Belgier vor mir aufzuschließen. Dummerweise muß ich an der Wasserstation kurz anhalten, um meine Flaschen erneut zu füllen, während der Belgier durchfährt. Ich habe also wieder rund 20-30m Rückstand, die ich auch nicht mehr schaffe aufzuholen. Die Steigung wird steiler, dennoch bleibt mir etwas Zeit die grandiose Landschaft zu genießen: dieser zweite Teil des Anstiegs zum Col du Galibier zählt für mich zu den atemberaubendsten Naturerlebnissen und hatte schon 1998 einen bleibenden Eindruck bei mir hinterlassen. Immer wieder stehen Zuschauer an der Strecke, die jedem Fahrer "Allez, courage!" zurufen. Überhaupt muß man sagen, daß über die ganze Strecke verteilt für eine "Hobby"veranstaltung sehr viele Zuschauer am Streckenrand standen. Langsam macht sich auch die Anstregung in meinen Beinen bemerkbar; immer öfter brauche ich mein 28er Ritzel, und der Berg will und will nicht enden. Ich beginne zu rechnen: wie lange würde ich für die Abfahrt vom Galibier bis nach Bourg d'Oisans brauchen? Immerhin waren das 50km mit teilweise nicht allzu großem Gefälle. Eine Stunde hatte ich für den Anstieg nach Alpe d'Huez eingeplant, blieben also zwischen 1h und 1h 10min für Abfahrt. Nicht üppig, aber machbar. Weiter geht es bergauf. Endlich ist das Nordportal des mittlerweile wieder geöffneten Scheiteltunnels erreicht: jetzt noch ein Kilometer, der allerdings mit Abstand der steilste des ganzen Anstiegs ist: zum ersten Mal muß ich trotz 28er Ritzel in den Wiegetritt, die Geschwindigkeit ist nur noch ganz knapp zweistellig, so langsam bin ich leicht angeknockt und reif für die Abfahrt. Wenige Meter vor der Paßhöhe ruft ein Franzose am Streckenrand mir und meinen zwei Begleitern die Plazierung zu: "Cent-douze!" Hundertzwölfter also. Ha, das wäre doch gelacht, wenn ich nicht unter die ersten Hundert käme. Die ersten drei dieser zwölf, die ich noch überholen muß, lasse ich gleich mal dadurch stehen, daß ich die Verpflegung auf der Passhöhe auslasse und darauf verzichte kurz anzuhalten um die Weste überzuziehen. Es ist warm genug. Nach etwa 4h 50min gesamt und 1h 10min für den Anstieg stürze ich mich in die Abfahrt, die auch nicht gerade den Traum unter den Abfahrten darstellt: welliger Fahrbahnbelag, schmale Straße, enge Kehren, keine Leitplanke oder ähnliches. Trotzdem bin ich wohl einiges mutiger (oder besser) in der Abfahrt als einige meiner Mitstreiter, jedenfalls kassiere ich in der Abfahrt die nächsten fünf oder sechs Fahrer. Nach 8km ist der Col du Lautaret erreicht, die Straße wird breiter, aber nur bedingt besser. Leider wird die Straße auch flacher, so daß es ein echter Nachteil für mich ist, daß ich im Moment alleine bin. Obendrein schmerzt der Rücken durch die geduckte Abfahrtsposition, immer wieder versuche ich durch Streckübungen dem schmerzenden Rücken wenigstens kurzfristig Entlastung zu schaffen. Endlich sehe ich beim Blick nach hinten zwei weitere Fahrer; ich lasse mich einholen, zu dritt würden wir deutlich schneller sein. Nach wenigen Kilometern erreichen wir eine weitere Gruppe, nun sind wir also neun oder zehn Fahrer. Sehr gut. In den nicht allzu steilen Stücken wird schön gekreiselt, hier läuft die Gruppe richtig gut. Die Abfahrt ist immer wieder von Tunnels unterbrochen, die Straße ist auch teilweise sehr schlecht. Das eine oder andere Schlagloch nehme ich auch mit. Ungefährlich ist diese Hetzjagd nicht, zumal die Strecke nicht gesperrt ist, und wir uns auch noch mit dem normalen Autoverkehr rumschlagen müssen. Doch leider ist es mit der Harmonie in der Gruppe immer wieder schnell vorbei, wenn es flacher wird; keiner will führen, wenn ich versuche eine Ablösung zu fahren, fährt einfach keiner vorbei. Dann plötzlich der Schock: Arrivée à 25km. Nach meinem Tacho sollten es eigentlich nur noch 21km sein. Die 6h-Grenze rückt näher und Bourg d'Oisans ist noch nicht in Sicht. Das würde verdammt knapp werden mit den 7h! Eine Stunde würde ich mindestens für den Anstieg nach Alpe d'Huez brauchen, ich mußte auf jeden Fall nach weniger als 6h unten in den Anstieg hineinfahren. Im letzten Flachstück hinein nach Burg d'Oisans will dann vollends gar niemand mehr aus der Gruppe fahren, das Tempo sinkt teilweise unter die 30km/h-Grenze. Mir wird das ganze Geplänkel zu blöd: das ist ja schlimmer als bei C-Klasserennen! Ich setze mich an die Spitze und schraube das Tempo wieder auf 35-36km/h, schließlich geht es hier noch um was!!! Endlich (??) ist der Fuß von Alpe d'Huez erreicht: 5h 55min Fahrzeit sagt die Uhr. Scheiße, das würde verdammt eng werden. In bester Pantani-Manier sprinte ich unten den Berg hinein: großes Blatt, Unterlenker. Eine Schwachsinnsaktion, aber den Lutschern aus meiner Gruppe wollte ich gleich zeigen, was ich von ihnen halte. Es kann mir prompt auch nur einer folgen. Alpe d'Huez hatte ich so in Erinnerung, daß man unten zweimal vor einer Wand steht und nach 2km das gröbste geschafft ist. Der Rest ist dann zwar hart, aber machbar. So hatte ich mir das jedenfalls gedacht. Nach der ersten der 21 Kehren stehe ich vor jener zweiten besagten Wand, und kann mich nicht so recht entscheiden: 33/24 im Wiegetritt oder 33/28 im Sitzen. Für ersteres fehlt die Kraft, für zweiteres die Souplesse. Der Puls hämmert mit 175 Schlägen pro Minute. Und langsam geht das Wasser in meine Flaschen zur Neige: blöderweise hatte ich die Verpflegung am Beginn des Anstiegs ausgelassen, von der Straße abzubiegen hätte zuviel Zeit gekostet, außerdem hatte ich mich auf die zwei Wasserstationen im Anstieg verlassen. Nur mußte ich die erste jetzt erstmal erreichen, und das war wohl doch weiter als ich dachte. Ein Motorrad bietet meinem Begleiter und mir im Vorbeifahren irgendwelche Süßigkeiten an, die wir beide ablehnen. Ich frage, nein, schreie nach Wasser, woraufhin mir mein Begleiter (wohl wieder ein Belgier, nehme ich zumindest aufgrund der Internetadresse auf seinem Trikot an) seine Wasserflasche reicht. Tausend Dank! Es ist unerträglich heiß mittlerweile, wer Alpe d'Huez kennt, weiß daß an diesem Beg nahezu kein Baum Schatten spendet, hinzukommt, daß wir uns gerade mal auf rund 900m befinden: da ist es natürlich bedeutend wärmer als auf fast 2700m wie am Galibier! Obwohl ich nur noch das Gefühl habe den Berg mehr schlecht als recht hinaufzueiern, kann ich gemeinsam mit meinem Begleiter, der auch immer wieder mal zurückfällt oder mich um ein paar Meter distanziert, einen Fahrer nach dem anderen auffahren und überholen. Die Geschwindigkeit pendelt zwischen 11-12km/h an den Steilstücken und 13-15km/h in den etwas flacheren Passagen. Nur scheint dieser dumme Berg heute zu mindesten 95% aus Steilstücken zu bestehen. Ich leide. Vor meinem geistigen Auge sehe ich die 7h zerinnen, was nicht unbedingt zu meiner Motivation beträgt. Der Spruch "Quäl dich, Du Sau!" wäre jetzt wohl angebracht, aber im tiefsten Inneren will ich eigentlich nur vom Rad steigen und mich hinlegen. Endlich ist die Wasserstation erreicht, ich schreie nur "De l'eau, de l'eau!" und halte meine leere Trinkflasche einer Dame an der Verpflegung hin. Diese sprintet förmlich zum Wassehahn um mir die Flasche zu füllen, eine andere reicht mir eine wassergefüllten Becher, den ich halb leer trinke und mir den Rest über den Kopf schütte. Und schon geht's weiter. Durch den kurzen Stop fühlen die Beine sich kurzzeitig wieder etwas besser an. Mein Begleiter hat durch meinen Stop auch wieder zu mir aufgeschlossen. Gemeinsam kämpfen wir uns nun Kehre um Kehre nach oben, mal ich an seinem Hinterrad, dann wieder er an meinem. Es ist eine Zweckgemeinschaft ohne viele Worte, nur hin und wieder wird über die Hitze und den Anstieg geflucht. Ich rechne und rechne, würde es für eine Zeit unter 7h noch reichen? Die 174km-Marke, bei der laut offizieller Kilometerangabe die Schinderei ein Ende hätte haben sollen, erreiche ich beim Schild "Arrivée à 4km". 6h 40min zeigt der Tacho. Scheiße, bei korrekter Kilometerangabe hätte ich die 7h locker im Sack gehabt. 20min für 4km, das sind 5min pro Kilometer, also ein 12er Schnitt. Normalerweise machbar, auch an diesem Berg, aber die Geschwindigkeit bewegt sich zwischen 11 und 12km/h, selten mal 13km/h. Außerdem macht mir die Hitze extrem zu schaffen. Innerlich ich verfluche alles: den Berg, die Hitze, das Radfahren im speziellen und allgemeinen, meine ehrgeizigen Ziele,... Zu allem Überfluß kommt nun auch noch Wind auf, natürlich von vorne. Ich versuche mich am Hinterrad meines Begleiters ein wenig zu verstecken, aber so richtigen Windschatten finde ich dort auch nicht. Was will man bei 12km/h auch großartig an Windschatten erwarten?! An der 3km-Marke wird der Berg endlich etwas flacher, wenn auch zunächst kaum wahrnehmbar. Irgendwie bekommt der Belgier so etwas wie die zweite Luft: Meter um Meter nimmt er mir ab, wenn ich versucht hätte dranzubleiben, wäre ich komplett geplatzt. Aber, war ich das nicht eh schon? Ich stehe auf dem Pedal, kämpfe, würge, mit Radfahren hat das nicht mehr viel zu tun. Endlich ist die letzte Kehre erreicht und der Ort Alpe d'Huez erreicht, dennoch sind es noch zwei Kilometer. Hier hatte ich 1998 meine Auffahrt nach 1h 05min beendet, heute passiere ich diesen Punkt nach 55min und muß noch 2km zurücklegen. Endlich, endlich wird es bedeutend flacher. Ein Italiener am Sraßenrand feuert mich (aufgrund meines azurblauen Trikots mit grün-weiß-rotem Brustring?) nochmals lautstark an. Noch eine Kehre im Ort, ein kurzer Tunnel, durch einen Kreisverkehr geht es sogar bergab, großes Blatt und Tempo 35 ist noch einmal angesagt, und dann ist sie endlich erreicht: die berühmte Linkskurve in Alpe d'Huez, um die schon so viele Radprofis gebogen, bevor es die letzten Meter zum Ziel hinauf geht. Diese letzten Meter werden auf der großen Scheibe absolviert. Ehrensache! Der Sprecher erwähnt meinen Namen als ich den Zielstrich passiere, rätselt ob ich nun Italiener oder Spanier bin, woarufhin ich dann doch korrigieren muß und ihm mitteile, daß ich "allemand", also Deutscher sei. Schnell noch die Stopuhr gedrückt: 6h 57min, 1h 01min für Alp d'Huez! Ich hatte mein Ziel erreicht. Mit steifen Beinen steige ich vom Rad und nehme die erstbeste Möglichkeit wahr, um mich zu setzen. Ziel erreicht: 178km mit (laut meinem Höhenmesser sogar) 5200 Höhenmetern und das ganze in weniger als 7h! Tränen des Glücks und der Überwältigung laufen mir durchs Gesicht. Ich kann das Ganze noch nicht wirklich begreifen. Ein unglaubliches Erlebnis, härter und einprägsamer als der Ötzi letztes Jahr, den ich zwar mit Respekt, aber ohne allzu hochgesteckte Ziele angegangen war, "Ankommen" war das Ziel gewesen. Hier hatte ich mir ein ehrgeiziges Ziel gesteckt und habe es unter Aufbietung all meiner Kräfte erreicht.

Noch ein paar Anmerkungen und Zahlen:
Der Autor fuhr wie üblich eine Kompaktkurbel mit 50/33er Bestückung, dieses Mal in Kombination mit einer 12-28er Kassette.

Die Zeiten für Anstiege im einzelnen:
- Col du Glandon (ab Rochtaillée): 1h 29min
- Col du Télégraphe (ab St Michel de Maurienne): 45min
- Col du Galibier (ab Valloire): 1h 10min
- Alpe d'Huez (ab Bourg d'Oisans): 1h 01min

Die Zeit von 6h 57min reichte für Gesamtplatz 74, in der Kategorie der 19- bis 29-jährigen sogar für Platz 24. Sieger war wie im Vorjahr Emmanuele Negrini (in den Jahren 2003-05 jeweils Zweiter des Ötztaler Radmarathons) in einer Zeit von 5h 50min; wenn sich der Autor beim Blick auf das Klassement nicht total vertan hat, ist er bester Deuscher im Feld von rund 7000 Starter geworden.

Ingo konnte bei seinem ersten Alpenmarathon (und seinen ersten "echten" Pässen überhaupt!!) gleich eine Zeit von 7h 58min erzielen und belegte damit auch einen Platz unter den ersten 500!

Bilder vom Autor gibt's hier.

EDIT: Noch ein paar weitere Bilder und die offiziellen Ergebnislisten gibt's hier (auf dem obersten Bild sieht man links unser Hotel, ebenso ist Ingo gut zu sehen und der Helm des Autors ist zu erahnen). Laut offizieller Ergebnisliste bin ich jetzt sogar 71. der Gesamtwertung, jedoch "nur" noch 28. in meiner Altersklasse. Offizielle Zeit ist 6h 59min 05s, während auf meiner Urkunde 6h 57min 05s steht. Möglicherweise ist das eine die Brutto- und das andere die Nettozeit. Eine wirkliche Erklärung für diesen Unterschied habe ich jedoch nicht.

04 Juli 2006

 

100 000 doping-freie Kilometer

Enttäuschung hat sich breit gemacht seit letztem Freitag... Was lange schon eine Art offenes Geheimnis war, scheint nun wirklich Gewissheit zu werden: im Profiradsport sind Siege, zumindest große Siege, nur mit einer entsprechenden (illegalen) medizinisch-pharmakologischen Unterstützung möglich.
Trotzdem bleibt Radsport für mich der schönste Sport der Welt!!!
Ein Freund von mir hat deshalb eine Aktion ins Leben gerufen während der Tour de France 100000 doping-freie Kilometer zu fahren. Die ganze Aktion wird von quaeldich.de unterstützt. Näheres gibt's in diesem Thread im Diskussionsforum von quaeldich.de. Ich finde die Aktion super und werde selbst auch versuchen mein Scherflein dazu beizutragen.
Man muß sich dazu nur auf der quaeldich.de Seite anmelden und hier seine Kilometer eintragen!

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